System­konflikt beim Ausbau erneuer­barer Energien?

Dieses Interview ist am 29.09.2010 unter blog.greenpeace.de erschienen.

Am 27.09. veröffentlichte Greenpeace in seinem Blog einen Auszug aus dem Buch Mülltrenner, Müsliesser und Klimaschützer von Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW in Berlin. In diesem Interview hat Greenpeace ihn nach seiner Einschätzung zum Systemkonflikt befragt und spannende Antworten erhalten!

 

Kernenergie? Bis wann kann Ihrer Meinung nach eine Energie­ver­sorgung durch 100% Erneuerbare erfolgen? Und was sind die Voraus­setzungen für die Umstellung?

Nicht wenige Experten meinen, ein solcher Umbau brauche mindestens 50 bis 100 Jahre. Wegen des enormen Ausstoßes an Treibhausgasen bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Erdöl, Erdgas oder Kohle, der Risiken der Kernenergie und der zur Neige gehenden Energievorräte können wir uns aber derartig lange Zeiträume gar nicht leisten. Wollen wir den künftigen Generationen kein Klima- und Energieversorgungschaos hinterlassen, muss das einfach schneller klappen. Es geht nicht, ist da ein schlechtes Argument.
Wie schnell sich eine Technologie wirklich durchsetzen lässt, zeigen zwei Beispiele. Für Viele ist es kaum mehr vorstellbar: Vor 20 Jahren kannten wir noch kein World Wide Web und keine flächendeckenden Handynetze. Heute hat jeder Haushalt durchschnittlich mehr als ein Mobiltelefon. Nun könnte man entgegnen, dass im letzten Jahr doch nur 73 Prozent der Haushalte über einen Internetanschluss verfügten. Mit einem Anteil regenerativer Energien von 73 Prozent in 20 Jahren wäre ich allerdings derzeit mehr als zufrieden. Die 100 Prozent könnten wir dann in 25 bis 30 Jahren schaffen. Dummerweise haben wir aber schon eine mehr oder weniger gut funktionierende Energieversorgung, die es nun zu ersetzen gilt. Wer von der heutigen Energieversorgung profitiert, wird seine komfortable Situation nicht freiwillig aufgeben. Daher sind die Voraussetzungen nicht so optimal wie bei der Einführung des Internets. Bei der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Konstellation sind daher Zeiträume in der Größenordnung von 40 Jahren eher realistisch.
Eine großartige Voraussetzung für die Umstellung ist nicht nötig. Selbst in weniger sonnenverwöhnten Ländern wie Deutschland reicht das Angebot an erneuerbaren Energien aus, um unseren Energiebedarf gleich zig-fach zu decken. Wir müssen eigentlich nur die entsprechenden Anlagen aufbauen und die dabei auftretenden Widerstände überwinden.

Wie sieht für Sie der Weg aus zu einer Energieversorgung aus 100% Erneuerbaren? Was sind die größten Herausforderungen auf dem Weg dorthin?

Die Technologien zur Nutzung regenerativer Energien sind bereits heute alle bekannt. Diese gilt es nun in großem Umfang in den Markt zu bringen. Ein Problem sind die heute noch zum Teil recht hohen Kosten bei einigen erneuerbaren Energien. Damit erneuerbare Energien auch bei einem schnell steigenden Ausbau eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung behalten, müssen wir die Kosten schnellstmöglich weiter senken. Bei der Photovoltaik sind wir hierbei auf einem sehr guten Weg. Alleine im letzten Jahr sind dort die Anlagenpreise um gut 30 Prozent gefallen. Eine weitere Herausforderung ist die fluktuierende Erzeugung erneuerbarer Energieanlagen. Die Stromeinspeisung von Photovoltaik- und Windkraftanlagen schwankt mit dem Sonnen- und Windangebot. Um dies auszugleichen, müssen Netze und Speichermöglichkeiten stark ausgebaut werden. Ein Netzausbau ist bei uns heute aber unpopulär und extrem zeitaufwändig. Bei der Energiespeicherung müssen neue Technologien zur endgültigen Marktreife gebracht werden. Beides erfolgt momentan leider nicht mit der nötigen Geschwindigkeit. Hier müssen wir schnellstmöglich das Tempo steigern, um den Umbau nicht in wenigen Jahren abzuwürgen.

Was bedeutet eine Laufzeitverlängerung für den Ausbau der Erneuerbaren?

Eine Laufzeitverlängerung ist energiepolitischer Nonsens und wird den Umbau zu einer Versorgung aus 100% erneuerbaren Energien verzögern. Setzen wir den Ausbau erneuerbarer Energien unvermindert fort, wird es bereits in wenigen Jahren nicht mehr möglich sein, herkömmliche Grundlastkraftwerke wie Braunkohle- und Kernkraftwerke im gewohnten Maße rund um die Uhr durchlaufen zu lassen. Es wird dann immer wieder Zeiten geben, in denen erneuerbare Energien einen Großteil unseres gesamten Stroms liefern. Die Atomkraftwerke müssten dann komplett herunter- und kurze Zeit später wieder angefahren werden. Das ist technisch aber nur sehr bedingt möglich, erhöht den Verschleiß und das Risiko der Anlagen und mindert signifikant die Rentabilität. Ein Betreiber eines Atomkraftwerks wird deshalb nur Verhalten in erneuerbare Energieanlagen investieren, da er damit seiner eigenen profitablen Anlage Konkurrenz macht. Der nötige Ausbau der Netze oder der Neubau von Speichern ist für ihn ebenso wenig attraktiv, da er damit den Weg für die Konkurrenz ebnet. Nach Einschätzungen der Politik könnten sich aber Atomkraftwerksbetreiber auch ganz anders verhalten: „Hurra, die Sonne scheint. Da kann ich endlich wieder mal mein Atomkraftwerk abschalten.“ Ich halte das allerdings für wenig realistisch. Gerade für den Ausbau von Netzen und Speichern wird aber das Engagement kapitalstarker Energieversorgungsunternehmen benötigt. Denkbar ist sogar auch, dass künftig Windkraft- und Photovoltaikanlagen verstärkt vom Netz genommen werden, wenn sie zu viel Strom liefern. Dann können nämlich schlecht regelbare Atomkraftwerke besser durchlaufen. Das wäre dann der energiepolitische Offenbarungseid.

Sind mit der Umstellung auf 100% Erneuerbare Versorgungsengpässe zu erwarten (eine „Stromlücke“)?

Verschiedene Studien belegen eindeutig, dass eine sichere Energieversorgung durch eine 100% erneuerbare Versorgung zu gewährleisten ist. Hierzu brauchen wir einen intelligenten Mix aus verschiedenen erneuerbaren Energien wie Wind- und Wasserkraft, Solarenergie, Biomasse und Geothermie. Bei der Stromversorgung sind allerdings zusätzlich neue Leitungen und größere Kurzzeitspeicher nötig, um Schwankungen beim Angebot von Wind- und Sonnenenergie ausgleichen zu können. Die Größe der nötige Speicher bleibt dabei überschaubar, da sich verschiedene erneuerbare Energien bereits recht gut ergänzen. Werden Leitungen und Speicher nicht im nötigen Tempo ausgebaut, könnte es dann allerdings zu Problemen bei der Stromversorgung kommen. Da sich dies aber vorhersagen lässt, wird vermutlich der Ausbau erneuerbarer Energien gestoppt oder verzögert werden, bevor es zu größeren Problemen kommt.

Führt die Umstellung auf 100% Erneuerbare zu steigenden Strompreisen?

Die Strompreise werden künftig mit Sicherheit ansteigen. Dies gilt aber unabhängig davon, ob wir 20, 50 oder 100 % erneuerbare Energien im Netz haben. Auch die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken wird uns keine niedrigeren Stromkosten bescheren. Der heutige Strompreis enthält viele Kosten wie Umweltschäden, Klimawandel, Versicherung von Atomkraftwerken oder Entsorgung radioaktiver Abfälle nicht. Schauen Sie mal beispielsweise in das Kleingedruckte Ihrer Autoversicherung. Ausgeschlossen sind hier Schäden durch Kernenergie. Bei einem Unfall im Atomkraftwerk nebenan können Sie schon mal Ihr Auto abschreiben, da niemand für den Schaden aufkommen wird. Wenn Ihnen eine Solaranlage auf die Kühlerhaube fällt, ist das hingegen in der Regel ein Versicherungsfall. Langfristig können wir es uns nicht leisten, diese hohen nicht berücksichtigen Kosten weiter der Allgemeinheit und künftigen Generationen aufzubürden. Außerdem werden fossile und atomare Brennstoffe immer knapper und damit teurer. Die Preise für fossile Brennstoffe oder Uran sind nach oben offen. Damit wird auch der Preis für Strom aus konventionellen Kraftwerken in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Erneuerbare Energien haben dagegen einen entscheidenden Vorteil: Im Vergleich zu fossilen Energien oder der Kernenergie werden sie kontinuierlich billiger. Durch eine möglichst schnelle Umstellung auf 100% Erneuerbare werden die Strompreise mittel- und langfristig niedriger bleiben als wenn wir noch länger an fossilen Energien oder der Kernenergie festhalten.

Wie steht Deutschland diesbezüglich im Vergleich zu anderen Ländern da? Welche Rolle spielt Deutschland beim internationalen Klimaschutz?

Die Situation in Deutschland ist sicher deutlich schwieriger als in anderen Ländern. Norwegen hat heute bereits eine 100% erneuerbare Energieversorgung aus relativ preiswerter Wasserkraft. In Deutschland existieren diese hohen Wasserkraftpotenziale nicht. In Island muss man nur einen Stock in die Erde rammen und einem sprudelt die Erdwärme entgehen, in Spanien scheint bekanntermaßen viel öfter die Sonne als bei uns und Großbritannien hat deutlich mehr Wind. Das bedeutet, dass es in Deutschland eine größere Herausforderung als in anderen Ländern ist, eine 100% erneuerbare Energieversorgung aufzubauen. Dadurch werden bei uns die Energiekosten tendenziell immer etwas höher sein. Ich würde hierin allerdings auch eine große Chance sehen. Da wir aufgrund unserer geografischen Lage gezwungen sind, erneuerbare Technologien zu perfektionieren, sorgen wir damit auch für eine schnelle weltweite Verbreitung. In vielen Bereichen der erneuerbaren Energien wie beispielsweise der Windenergie oder bei Produktionsanlagen für Photovoltaikanlagen zählt Deutschland weltweit zu den Technologieführern. Auch die Vorbildfunktion, die von Deutschland ausgeht, darf man nicht unterschätzen. Wenn es in einem Land mit so mäßigen Potenzialen für erneuerbare Energien wie Deutschland gelingt, eine 100% erneuerbare Versorgung aufzubauen, dann dürften eigentlich auch alle anderen Länder der Welt einsehen, dass das kein Problem ist. Dazu müsste Deutschland aber noch konsequenter den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben und endlich die von Klimaforschern geforderten Reduktionen von Treibhausgasemissionen erreichen. Hier hinkt Deutschland immer noch weit hinter den selbst gesteckten Zielen hinterher.

Welche politischen Entscheidungen müssten für einen Ausbau der Erneuerbaren Energien getroffen werden?

Der Ausbau erneuerbarer Energien bei der Stromversorgung geht erheblich schneller voran, als sämtliche Studien und Energiekonzepte der vergangenen Jahre vorhergesagt haben. Insofern gebe ich dem aktuellen Energiekonzept auch nur eine Halbwertszeit von einem oder zwei Jahren. Um das hohe und für einen wirksamen Klimaschutz nötige Tempo aufrecht zu erhalten oder gar zu steigern, ist eine Kontinuität in der Energiepolitik dringend erforderlich. Die Laufzeitverlängerung wird von einigen Investoren sicher als Signal gegen einen weiteren schnellen Ausbau regenerativer Energieanlagen verstanden und das Ausbautempo eher verringern. Insofern ist diese Entscheidung auch für einen wirksamen Klimaschutz kontraproduktiv.
Ein weiterer extrem wichtiger Punkt ist der Ausbau von Netzen und Speichern. Es reicht aber nicht, wenn die Politik seit Jahren nur über diese Punkte redet. Sie muss vielmehr dafür sorgen, dass der Ausbau endlich im erforderlichen Tempo erfolgt. Neben der Stromversorgung muss auch die Wärmeversorgung und der Verkehr auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Auch hier greifen die bisherigen Maßnahmen viel zu kurz. Anstatt ein unausgegorenes Energiekonzept als Revolution zu verkaufen, sollte die Politik sich endlich mal überlegen, wie sie die selbst gesteckten Klimaschutzziele auch wirklich erreicht. Das hat nämlich keine Regierung der letzten 20 Jahre geschafft. Durch ein paar warme Worte und halbherzige Maßnahmen lässt sich unser Klima auf jeden Fall nicht retten.

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