Die Deutschen sind bereit für die Energiewende
Dieses Interview ist im Juni 2011 in den futurasol news erschienen.

Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin, über die Chancen für eine schnelle Energiewende nach Fukushima und eine elektromobile Gesellschaft.

E-Mobility Ist Deutschland auf einem guten Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung?

Wenn ich mir die Energiepolitik in Deutschland der letzten Jahre anschaue, laufen wir zwar bereits in die richtige Richtung. Wir bewegen uns momentan aber nur im Schneckentempo. Die enormen Folgen unserer heutigen Energieversorgung wie der Treibhauseffekt, die nuklearen Risiken oder die zur Neige gehenden fossilen Energieträger werden aber kein weiteres Zögern verzeihen. Insofern ist ein deutlich höheres Tempo erforderlich.

Inwieweit hat sich das Bewusstsein des Einzelnen verändert, dass es sich hierbei um eine existenzielle Frage handelt?

Die Bevölkerung ist in vielen Fragen schon deutlich weiter als die Politik. In der Politik sind die Verzahnungen mit der klassischen Energiewirtschaft für einen schnellen Wechsel noch zu groß. Der bisherige schnelle Zubau der erneuerbaren Energien ist vor allem durch Einzelne erfolgt, die es selbst in die Hand genommen haben, Anlagen zu errichten und den Umbau voranzutreiben. Nun gilt es, alle zu überzeugen. Dann sind die Chancen sehr groß, dass wir in Deutschland sehr schnell eine nachhaltige Energieversorgung realisieren und damit auch als Vorbild für andere Nationen dienen.

Das klingt sehr positiv. In Ihrem neuen Buch "Mülltrenner, Müsliesser und Klimaschützer" entwerfen Sie ein etwas zwiespältigeres Bild der Deutschen, die zwar Weltmeister beim Mülltrennen seien, aber gleichzeitig auch selten leidenschaftliche Autofahrern. Warum sollten die Deutschen ausgerechnet hier konsequent sein?

Nach dem Unglück in Fukushima sagen viele Umfragen, dass die Menschen bereit sind, für die Energiewende höhere Energiepreise in Kauf zu nehmen. Auch die letzten Landtagswahlen haben ganz klar gezeigt, dass die Bevölkerung eine andere Energiepolitik möchte.

Es gibt Experten, die behaupten, Themen wie Elektromobilität seien ohne Kernenergie gar nicht umsetzbar.

Das ist absoluter Blödsinn. Die zusätzlichen Strommengen für die Elektromobilität sind erst einmal überschaubar. In Deutschland haben wir außerdem noch enorme Einsparmöglichkeiten für Elektrizität. Wenn wir diese ausschöpfen, wird der Elektrizitätsbedarf in Deutschland auch durch die Elektromobilität nicht wesentlich zunehmen. Doch selbst wenn wir einen steigenden Bedarf haben sollten, reichen die Potenziale für erneuerbare Energien in Deutschland aus, auch diesen problemlos zu decken.

Der GAU in Japan macht die Kernenergie-Frage aktueller denn je. Glauben Sie, die aktuellen Ereignisse werden den Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben?

Die Ereignisse in Japan haben auch in der Energiepolitik einen Tsunami ausgelöst. Die Zauderer des Ausbaus erneuerbarer Energien wurden davon kalt erwischt. Das erklärt auch die hektischen Aktionen der Politik. Prinzipiell ändert es aber nichts an der Tatsache, dass die großen Energiekonzerne den Ausbau der erneuerbaren Energien nur halbherzig betreiben werden. Mit einer Vielzahl an Kohle- und noch verbliebenen Atomkraftwerken verfügen sie über den falschen Kraftwerkspark. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien machen sie sich selbst Konkurrenz. Außerdem passen viele dezentrale regenerative Energieanlagen in Privathand nicht in ihr Versorgungskonzept. Dass wir die erneuerbare Energiewirtschaft in zwei oder drei Jahrzehnten auch wirklich realisieren, ist also noch lange nicht entschieden.

Von Kernenergiebefürwortern wird nun sinnigerweise gerne der Klimawandel ins Feld geführt: Soll der CO2-Ausstoß gesenkt werden, ginge das nur mit Kernenergie.

Ich frage mich, wo das Gerücht herkommt, dass die Kernenergie einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Weltweit deckt die Kernenergie nur einen Anteil von 3 % des gesamten Endenergieaufkommens. Auch in Deutschland sind es nur 6 %. Für einen wirksamen Klimaschutz reden wir von mindestens 80 % Einsparungen, die Länder wie Deutschland bis zum Jahr 2050 erreichen müssen.

Ist 2050 ein realistisches Ziel für 100 % Erneuerbare Energie?

Ich hoffe, wir werden das Ziel schon im Jahr 2035 nahezu vollständig erreichen.

Dena-Chef Stephan Kohler sprach im vergangenen Herbst von einer "Akzeptanzoffensive", die bei der Bevölkerung das entsprechende Bewusstsein schaffen solle. Halten Sie eine solche Maßnahme für sinnvoll?

Wir brauchen ein klares Energiekonzept, das aufzeigt, wie wir möglichst schnell ohne Atomkraft und in 20 bis 30 Jahren auch weitgehend ohne fossile Energien auskommen können. Warum soll ich neue Leitungen akzeptieren, wenn gleichzeitig neue Kohlekraftwerke gebaut und Laufzeiten von Kernkraftwerken verlängert werden? Ein wirklich sinnvolles, klares und gut kommuniziertes Konzept wird auch die nötige Akzeptanz finden. Dass das bisherige Konzept mit einem langsamen Ausbau erneuerbarer Energien bei gleichzeitiger Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken keine große Akzeptanz gefunden hat, verwundet mich nicht sonderlich. Um ein wenig nachvollziehbares Konzept zu retten, hilft auch keine Akzeptanzoffensive.

Sie halten einen PV-Anteil von 25 bis 30 Prozent am gesamten Strombedarf bis 2030 für realistisch. Ist die erneute Anpassung im EEG nicht kontraproduktiv?

Das Potenzial der Photovoltaik in Deutschland beträgt gut 200 GW. Damit ließen sich je nach Verbrauch 25 bis 30 Prozent des Bedarfs decken. Ich halte den Anteil für sinnvoll und möglich. Dazu müssten wir aber die Installationszahlen von 2010 für die nächsten 20 Jahre fortschreiben. Sicher ist auch, dass dann der Photovoltaikstrom nicht mehr wie heute über 20 Cent pro Kilowattstunde kosten darf. Insofern ist es richtig, die Vergütung weiter zu senken. Man muss jedoch genau beobachten, ob man damit den schnellen Ausbau nicht abwürgt.

Das passiert aber doch gerade?

Wenn sich das bestätigt, dann müsste man zügig die Konditionen für die Photovoltaik wieder verbessern. Hier ist es auch wichtig, dass die Photovoltaikanlagen gleichmäßig über Deutschland verteilt werden, um die Zahl der benötigten neuen Leitungen überschaubar zu halten. Dazu müsste man das EEG dringend optimieren und regional unterschiedliche Vergütungssätze definieren.

Die Dena spricht von 3600 km erforderlichen neuen Hochspannungsstraßen. Realistische Zahlen und Szenarien?

Die heutigen Netze und Versorgungsstrukturen sind auf die Verteilung von Strom von zentralen Großkraftwerken zu den Verbrauchern optimiert. Wenn wir nun eine völlig neue Erzeugerstruktur aufbauen, ist es logisch, dass wir auch die Netze umbauen müssen. Durch den vermehrten Einsatz von dezentralen Photovoltaik- und Windkraftanlagen, die den Strom in der Nähe der Verbraucher produzieren, lässt sich der Ausbaubedarf aber erheblich reduzieren.

Das hat die DENA aber nicht berücksichtigt.

Nein, hat sie nicht. Richtig ist aber, dass wir ohne einen Leitungsausbau keine regenerative Vollversorgung realisieren können.

Sind die Kosten für den Netzausbau volkswirtschaftlich gerechtfertig?

Die Netze in Deutschland sind sowieso schon an einigen Stellen marode. Das heißt, es müssen ohnehin Modernisierungsmaßnahmen erfolgen. Wenn man die Netze vorrausschauend für die Integration erneuerbarer Energien mit ausbaut, werden die Mehrkosten überschaubar bleiben. Außerdem sollten Solar- und Windkraftanlagen dezentral über das gesamt Land verteilt werden. Dann ist der erforderliche Netzausbau deutlich geringer als wenn man ausschließlich auf Offshore-Windkraft setzt.

Wie viel könnte man dadurch beim Netzausbau konkret sparen?

Mir ist keine Studie bekannt, die das derzeit schon sagen könnte. Wir stellen dazu an der Hochschule für Technik und Wirtschaft zusammen mit dem Reiner Lemoine Institut gerade Berechnungen an. Es wird aber wohl noch ein gute halbes Jahr dauern, bis wir Zahlen vorlegen können.

Beispiel Ostdeutschland: Dort liefern Windräder und Photovoltaik bei voller Leistung schon jetzt mehr Strom als die Kohle- und Gaskraftwerke. Doch die Netzstabilität ist auch nirgendwo so gefährdet wie in Ostdeutschland.

Mittelfristig kommen wir um neue Speicherlösungen und intelligente Netze nicht herum. Dazu gibt es zahlreiche funktionierende Konzepte. Diese gilt es nun zügig im großen Maßstab umzusetzen. Für die Übergangzeit können auch schnell regelbare KWK-Gaskraftwerke Versorgungsengpässe überbrücken. Später können diese Anlagen dann auf regenerativ erzeugtes Methan oder Wasserstoff umgestellt werden.

Viele Konzepte, wie beispielsweise die der Methanspeicherung sind aber doch noch längst nicht ausgereift.

Kurzfristig bietet allein die Batterietechnik heute schon viele Möglichkeiten, auch die thermische Speicherung ist längst ein gangbarer Weg. Wir sprechen aber ohnehin über einen Zeitraum bis 2020, bis dahin sind auch die Methanisierungsanlagen deutlich weiter. Da steckt ein gigantisches Potenzial dahinter. Wenn man allein die bestehenden Gasspeicher nimmt, hat man hier theoretisch so viel Speicherplatz, dass man damit für zwei bis drei Monate die komplette Stromversorgung der Bundesrepublik abzudecken könnte. Der Speicherbedarf für eine 100% regenerative Stromversorgung ist aber wesentlich geringer.

Wie könnte eine effiziente Nutzung von intelligenten Steuerungssystemen für ein den Anforderungen der Elektromobilität entsprechendes Batterie- und Netzmanagement aussehen?

Der große Vorteil der Elektromobilität ist, dass man die Batterien auch zu Speicherzwecken für die Stromversorgung einsetzen kann. Dafür werden aber intelligente Steuerungen gebraucht, die wissen, wann die Batterie zum Fahren gefüllt sein muss und wann man sie zu Speicherzwecken nutzen kann.

Welche Rolle spielt die Photovoltaik in einer Gesellschaft, die stark auf Elektromobilität setzt?

Die Photovoltaik würde auch ohne Elektromobilität eine wichtige Rolle spielen. Da die Elektromobilität einen wichtigen Beitrag zur Speicherfrage leisten kann und Elektroautos sehr gut dezentral durch Photovoltaikanlagen betankt werden können, ergänzen sich beide Technologien optimal.

52 Prozent der Bundesbürger sind davon überzeugt, dass Elektrofahrzeuge herkömmliche Autos ablösen werden. Sind die Bemühungen der deutschen Autokonzerne auf diesem Feld mittlerweile wirklich entsprechend ernst zu nehmen?

Die Technologieführerschaft haben momentan ganz klar andere. Ich denke aber, dass man bei den deutschen Automobilkonzernen durchaus die Zeichen der Zeit erkannt hat. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei VW und Daimler um sehr finanzstarke Konzerne handelt. Die können einen Rückstand auch schnell mal aufholen, wenn sie sich dazu entschließen, in ein neues Segment zu investieren. Das war bei Katalysatoren und Russfiltern ähnlich.

Kann Deutschland also langfristig die Technologieführerschaft bei E-Mobility übernehmen?

Es kommt darauf an, ob die deutschen Automobilkonzerne weiterhin auf PS-starke Verbrennungsmotoren oder wirklich effiziente Antriebe setzen. Hier kann die Politik die Entwicklungen vorantreiben und unterstützen. Wegen knapper öffentlicher Kassen wird es wohl kein Markteinführungsprogramm für Elektroautos geben. Es gibt aber auch andere preiswerte Fördermöglichkeiten. Eine wäre, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen. Damit wäre es nicht mehr sinnvoll, bei der Entwicklung den Schwerpunkt auf Beschleunigung und Tempo zu setzen. Man könnte sich dann voll auf die Effizienzfrage konzentrieren.

Womit wir wieder beim deutschen Bundesbürger wären, der in Umweltfragen gerne etwas zwiespältig agiert.

Klar, am liebsten würde er ein supereffizientes Auto fahren, damit aber mit 250 km/h über die Autobahn steuern. Das passt nicht zusammen.

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