Klimaschützer raten dringend, unsere Energieversorgung bereits bis zum Jahr 2040 kohlendioxidfrei zu gestalten.
In der Stromversorgung würde das einen sehr hohen Anteil an Photovoltaik- und Windkraftanlagen bedeuten, die dann in Deutschland
ca. 80 % der Versorgung übernehmen müssten. Die Potenziale anderer regenerativer Stromerzeugungsformen wie Biomasse,
Wasserkraft oder Geothermie sind hier vergleichsweise gering. Gemeinsam mit einem geringen Anteil an Import von regenerativem
Strom müssten sie dann die restlichen 20 % liefern. Aufgrund des schwankenden Wind- und Sonnenangebots befürchten
viele, eine sichere Versorgung sei so nicht möglich. Auch RWE-Chef Jürgen Großmann bediente sich in einem Spiegel-Interview
im Jahr 2010 dieser Ängste, um längere Laufzeiten für Kernkraftwerke zu fordern: „Im Januar blies wenig Wind, es gab
kaum Sonne. Stellen Sie sich vor, 80 % unserer Stromerzeugung hingen von erneuerbaren Energien ab: Da würde in Zeiten wie diesen
nicht nur das Licht ausgehen.“ Mit der Laufzeitverlängerung wurde es wegen Fukushima bekannterweise erst einmal nichts.
Die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Regenerativen sind aber immer noch in der Welt.
Um Lösungen sachlich zu diskutieren, wurde für diesen Artikel eine regenerative Stromversorgung mit 200 GW Photovoltaik sowie
jeweils 50 GW Onshore- und Offshore-Windkraft mit realen Wetter- und Verbrauchsdaten aus dem Jahr 2007 analysiert, die in etwa
80 % der Versorgung decken könnten. Im Jahresverlauf gleichen sich die Erzeugung aus Solar- und Windkraftanlagen erst einmal
erstaunlich gut aus, wie Abb. 1 zeigt. Eine umfangreiche saisonale Speicherung ist deshalb nicht erforderlich. Innerhalb einzelner
Wochen gibt es allerdings erhebliche Unterschiede, was drei Wochen exemplarisch verdeutlichen.
In Winterwochen mit gutem Windangebot ist die Versorgung noch relativ ausgeglichen (Abb. 2a). Die Windkraft dominiert
dort die Erzeugung. An einigen Stunden, vor allem mittags, kommt es zu hohen Leistungsüberschüssen. An wenigen Stunden
gibt es Defizite in Höhe von gut 60 GW. In einer sonnenreichen Frühjahrswoche (Abb. 2b) bestimmt hingegen die Photovoltaik das
Geschehen. Es kommt tagsüber stets zu hohen Überschüssen. Nachts tritt hingegen regelmäßig ein starkes Defizit auf. Den
„Worst Case“ stellt die wind- und sonnenarme Winterwoche dar (Abb. 2c). Hier sind dauerhaft Defizite von bis zu 75 GW zu verzeichnen.
Derartige Wochen treten bei bestimmten winterlichen Hochdrucklagen auf, bei denen das Windangebot schwach bleibt
und Hochnebel das Sonnenangebot erheblich reduziert. Solche Wetterlagen können, wie im Jahr 2007, durchaus 14 Tage anhalten,
bis wieder windreiches Wetter die Oberhand gewinnt. Andere regenerative Energien können in dieser Zeit die Defizite nur bedingt
ausgleichen. So waren 2011 in Deutschland 4,4 GW an Wasserkraft- und 7,2 GW an Biomassekraftwerken installiert. Bei der
Biomasse und der Geothermie gibt es zwar noch Ausbaupotenziale, geht man von 25 GW an Leistung anderer regenerativer
Kraftwerke oder Importmöglichkeiten aus, müsste dennoch ein Großteil des Defizits anderweitig gedeckt werden.
Um die hohen Überschüsse und Defizite in Ausgleich zu bringen, sind neue große Speicherkapazitäten nötig, die ca. 5 % der jährlich
erzeugten Energiemenge speichern und wieder abgeben können. Diese Zahl hört sich zuerst nicht wirklich erschreckend an. Dennoch
bedeutet das eine Speicherkapazität in der Größenordnung von 30.000 GWh. Betrachtet man die derzeitigen Speicher in
Deutschland, zeigt sich die Dimension der nötigen Veränderung: Die heute in Deutschland hauptsächlich verwendeten Pumpspeicherkraftwerke
verfügen gerade einmal über eine Speicherkapazität von 40 GWh. Es geht also künftig nicht darum, die Speicherkapazität
zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Wir reden über eine Steigerung um den Faktor 750. Auch das geplante und umstrittene
neue Pumpspeicherkraftwerk Atdorf im Schwarzwald mit einer Kapazität von 13 GWh ist da bestenfalls ein Tropfen auf dem heißen
Stein. Weitere große Pumpspeicherprojekte in Deutschland sind wenig wahrscheinlich.
Prinzipiell kann man bei den benötigten Speichern zwischen Kurzzeitspeichern für wenige Stunden und Langzeitspeichern für
einige Wochen unterscheiden. Bei den Kurzzeitspeichern würde bereits eine Kapazität von 400 GWh gut ausreichen, um bei einem
sonnenreichen Frühjahrstag die Nacht zu überbrücken. Das wäre „nur“ eine Verzehnfachung der heutigen Speicherkapazität.
Aus heutiger Sicht eigenen sich hierfür vor allem Batteriespeicher. Für Photovoltaikanlagen bringen bereits immer mehr Hersteller
Batteriesysteme auf den Markt, die den Eigenverbrauchsanteil steigern sollen. Die Batteriekapazität liegt meist im Bereich von
5 und 10 kWh. Bei 40 Mio. Haushalten kämen bei einer Speicherkapazität von 10 kWh rein rechnerisch die benötigten 400 GWh
zusammen. Von diesem Potenzial wird sich war nur ein kleinerer Teil erschließen lassen, ergänzt durch
einige zentrale Batteriespeicher und weitere Speicher bei Industrie- und Gewerbebetrieben könnten Batterien aber einen
großen Teil des Kurzzeitspeicherbedarfs decken. Die Versorgungssicherheit bei wind- oder sonnenreichen Wochen wäre
damit gewährleistet.
Eine größere Herausforderung stellt die Überbrückung gleichzeitiger wind- und sonnenarmer Wochen dar. Hierfür
werden auch Batteriespeicher nicht ausreichen. Einige Konzepte sehen vor, dafür in Norwegen eine
Vielzahl neuer Pumpspeicherkraftwerke zu errichten. Das bergige und wasserreiche Land hätte dafür große Potenziale.
Allerdings ist man in dem Land wenig begeistert, Unmengen neuer Hochspannungsleitungen quer über die landschaftlich
eindrucksvollen Fjorde zu ziehen und zahllose Berghänge für neue Speicherbecken zu betonieren. Aus Naturschutzgründen
dürfte das real erschließbare Potenzial sehr überschaubar bleiben. Bleiben noch zwei Technologien,
um die nötigen Speicher in Deutschland zu realisieren: Bei Druckluftspeichern könnte durch Überschussstrom Luft in
riesigen unterirdischen Kavernen verdichtet werden, die dann bei Bedarf über Turbinen wieder Strom erzeugt. Deutlich
mehr Chancen werden aber der Gasspeichertechnologie eingeräumt.
In Deutschland existieren bereits Erdgasspeicher mit einer Kapazität von ca. 20 Mrd. m3, was einem Heizwert von rund
200 000 GWh entspricht. Auch wenn man noch Verluste bei der Umwandlung von Erdgas in Elektrizität berücksichtigt, könnten
die existierenden Gasspeicher den Speicherbedarf einer vollständig regenerativen Elektrizitätsversorgung
bereits heute problemlos decken. Mit Elektrolyseeinheiten lässt sich aus Überschüssen von regenerativen Kraftwerken
Wasserstoff erzeugen und direkt in das Erdgasnetz einspeisen. Eine Beimischung von 5 % Wasserstoff ins heutige
Erdgasnetz ist technisch prinzipiell möglich. Anteile von bis zu 20 % werden ebenfalls als realisierbar erachtet. Größere regenerative
Gasmengen lassen sich mit Hilfe einer zusätzlichen Methanisierungsstufe beimischen. Regeneratives Methan kann das
fossile Erdgas eins zu eins ersetzen. Der Nachteil der Gasspeicherung ist der mäßige Gesamtwirkungsgrad von ca. 40 %. Werden
die Verluste durch eine konsequente Kraft-Wärme-Kopplung in allen Stufen genutzt, lassen sich aber die Wirkungsgrade auf
durchaus passable Werte steigern.
Die technischen Lösungen, eine überwiegend auf Wind- und Solarenergie basierende klimaverträgliche Elektrizitätsversorgung
bereits bis zum Jahr 2040 zu realisieren, sind also bekannt. Dazu müssen wir uns aber zügig von schlecht regelbaren Braunkohle-
und Atomkraftwerken verabschieden, den Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen ambitioniert vorantreiben und
die nötigen Speicher und Gas-Reservekraftwerke schnellstmöglich aufbauen. Um die Energiewende zu vollziehen, reichen künftig
keine Ankündigungen mehr aus. Nun muss gehandelt werden.
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