Energie­wende: nach uns die Sint­flut

erschienen im Greenpeace Blog am 29.08.2012

Die großen Energiekonzerne und immer mehr Politiker fordern einen langsameren Ausbau der Photovoltaik und der Windenergie an Land. Sie argumentieren, die Kosten des Ausbaus erneuerbare Energien - speziell der Solarenergie - würde Deutschland nicht länger verkraften. Dabei verschweigen sie, dass erneuerbare Energie weniger als ein Drittel der Strompreissteigerungen der letzten 12 Jahre verursacht haben. Wie mit einem langsameren Ausbau erneuerbarer Energien der Klimawandel gestoppt werden soll, verraten sie auch nicht. Aber es gibt einen Ausweg: Wir müssen die Energiewende selbst in die Hand nehmen.

Nach uns die Sintflut Die neuesten Mel­dungen der Klima­forscher vom Institut für Klima­folgen­forschung (PIK) Potsdam sind dramatisch: Auch wenn wir große Anstrengungen für einen wirksamen Klimaschutz unternehmen und die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzen, werden die Meeresspiegel bis zum Jahr 2300 um 2,7 Meter ansteigen – mit katastrophalen Auswirkungen auf die Küstenregionen. Die aktuellen Entwicklungen bei der Energieversorgung sprechen aber noch eine andere Sprache. Die weltweiten Kohlendioxidemissionen steigen derart schnell an, dass selbst eine Erwärmung von drei Grad Celsius vermutlich übertroffen wird.

Nach dem Verkünden der Energiewende im Frühjahr 2011 schaut die Welt gespannt auf Deutschland. Gelingt uns die Trendwende, wäre das ein Vorbild für den Rest der Welt und könnte damit die globale Erwärmung in letzter Minute doch noch auf vertretbare Werte begrenzen. Aber es ist Sand im Getriebe. Die zuständigen Politiker wollen ein langsameres Tempo beim Umbau unserer Energieversorgung durchsetzen. Gerade einmal 35 Prozent regenerativer Strom bis zum Jahr 2020 sollen es sein. Damit würde der Anteil fossiler Kraftwerke nahezu konstant bleiben. Wirksamer Klimaschutz sieht anders aus.

Der Vorwand für die Temporeduzierung liegt in den angeblich hohen Kosten für erneuerbare Energien, die für viele nicht mehr bezahlbar seien. Im Herbst werden die neuen Zahlen für die so genannte EEG-Umlage erwartet, die alle Haushalte über die Stromrechnung entrichten müssen. Die in dieser Umlage ausgewiesenen Kosten für den Ausbau erneuerbarer Energien könnten dann auf fünf Cent pro elektrische Kilowattstunde (Cent/kWh) steigen. Das ist eine Steilvorlage für die Gegner der Energiewende, die den Bankrott aller privaten Haushalte infolge unbezahlbar teuren Wind- und Solarstroms beklagen werden. Dabei sind die Kosten für Haushaltsstrom zwischen 2000 und 2012 insgesamt um zwölf Cent/kWh angestiegen. Da halten andere deutlich mehr die Hand auf als die Betreiber von Solar- und Windkraftanlagen. Allein die Gewinne von RWE und e.on lagen im ersten Halbjahr 2012 über den Vergütungszahlungen für sämtliche regenerative Energieanlagen. Und die stromintensive Energie beteiligt sich erst gar nicht an der Energiewende. Sie können von fast allen Umlagen befreit billig an der Strombörse einkaufen. Im teuren Ökostromland Deutschland ist dort der Strompreis inzwischen niedriger als im so vermeintlich billigen Atomstromland Frankreich. Eine faire Lastenverteilung sieht anders aus.

Sicher werden die Kosten für eine erfolgreiche Energiewende und einen wirksamen Klimaschutz weiter ansteigen. Wenn man aber sieht, wie sorglos an vielen Stellen in Deutschland mit elektrischer Energie immer noch umgegangen wird, bleibt auch eine schnelle Energiewende für die meisten sicher bezahlbar. Da bei jeder Strompreiserhöhung der Staat über höhere Mehrwertsteuereinnahmen auch noch einmal kräftig mitverdient, gäbe es auch durchaus Spielräume, einkommensschwache Haushalte zu entlasten.

Der eigentliche Grund für die vorgeschobene Kostendiskussion ist an anderer Stelle zu suchen. Der schnelle Ausbau von Wind- und Solaranlagen geht zu Lasten der großen Energiekonzerne. Rund 25 Prozent Strom aus regenerativen Energieanlagen waren in der ersten Jahreshälfte 2012 im Netz. RWE hatte 2011 gerade einmal rund vier Prozent regenerativen Strom im Portfolio. Ein weiterhin schneller Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken bedroht die Existenz der bestehenden Braunkohle- und Atomkraftwerke. Sie sind technisch nicht in der Lage, die zunehmenden Schwankungen durch regenerative Kraftwerke im Stromnetz auszugleichen und müssten dann recht bald durch schnell regelbare Gaskraftwerke oder Speicher ersetzt werden. Diese Entwicklung soll allerdings so lange wie möglich hinausgezögert werden. Gelingt das, wäre Deutschlands Vorbildfunktion für eine erfolgreiche Energiewende zerstört und ein wirksamer Klimaschutz wäre kaum mehr umzusetzen.

Ganz nach dem Motto: “Nach uns die Sintflut” nehmen das die Gegner der Energiewende aber bewusst in Kauf. Das Schöne an einer Demokratie ist aber, dass langfristige Entwicklungen nicht dauerhaft durch profitorientierte Lobbyisten oder ängstliche und planlose Politiker bestimmt werden müssen. Wir haben es selbst in der Hand, eine schnelle Energiewende durchzusetzen und unseren Kindern einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Es gibt immer noch viel zu viele private Dächer, die sich geradezu nach Photovoltaikanlagen sehnen, unabhängige grüne Stromanbieter, bei denen das Geld aus der Stromrechnung nicht in die Kohle- und Atomkraftwerke fließt und vielleicht sogar den einen oder anderen engagierten Politiker, der gewählt werden möchte und nicht vor den großen Energiekonzernen einknickt. Stellen wir uns unserer Verantwortung.

Volker Quaschning

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