Die Bundesregierung hatte nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 die politische Notwendigkeit
der Energiewende erkannt. Eine Herzensangelegenheit war die Energiewende aber von Anfang an nicht. Erinnern wir
uns: Im Herbst 2010 hatte die Bundesregierung nach langjähriger politischer Lobbyarbeit der großen vier Energiekonzerne EnBW,
Eon, RWE und Vattenfall erst eine kräftige Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke beschlossen, obwohl diese mit dem Bekenntnis
zum weiteren Ausbau erneuerbarer Energien unvereinbar war. Dabei hatten diese Energiekonzerne im Jahr 2000 mit
der damaligen rot-grünen Bundesregierung ein Ausstiegsgesetz vereinbart. Wirklich ernst gemeint hatten sie diese Vereinbarungen
offenbar nicht. Ihr Engagement im Bereich der erneuerbaren Energien blieb mehr als bescheiden. Während im Bundesdurchschnitt
im Jahr 2011 ca. 20 % und im Jahr 2012 bereits 22 % der Stromversorgung in Deutschland durch erneuerbare Energien
gedeckt wurden, kamen die großen Vier gerade einmal auf Werte zwischen 4 und 11 %. Rechnet man die alten, zum Teil schon seit
Jahrzehnten existierenden, Wasserkraftwerke heraus, beschränkt sich das regenerative Engagement der Energieriesen gerade
einmal auf 0,5 bis 2 % – trotz Ausstiegsbeschluss und Klimaschutzbekenntnissen.
Eine echte Ausstiegsstrategie sieht anders aus. "Nach Rot-Grün kommt irgendwann wieder Schwarz-Gelb und dann wird alles
rückgängig gemacht," war offenbar die Devise. Und diese Strategie hatte mit den Laufzeitverlängerungen von 2010 schließlich
auch Erfolg, bis kurze Zeit später die Reaktorkatastrophe von Fukushima die Energiekonzerne und die Bundesregierung
kalt erwischte. Obwohl das Kabinett sich kernkrafttechnisch vom Saulus zum Paulus wandelte, wurde ihr Energiekonzept nie an
den erneuten Ausstiegsbeschluss für das Jahr 2022 angepasst.
Das schwarz-gelbe Energiekonzept sieht weiterhin nur einen Anteil von 35 % an regenerativen Energien bis zum Jahr 2020 vor.
Wenn man von einem gleichbleibenden Strombedarf ausgeht, können die erneuerbaren Energien damit gerade einmal die
wegfallende Stromerzeugung der Kernkraftwerke ersetzen. Der Anteil fossiler Kraftwerke würde folglich konstant bleiben – obwohl
sich die Bundesregierung international vollmundig für einen wirksamen Klimaschutz einsetzt. Dass sich die Kohlendioxidemissionen
bei gleichbleibendem Anteil fossiler Kraftwerke nicht signifikant reduzieren lassen, müsste eigentlich jeder Laie nachvollziehen
können. Konsequenterweise hätte das Ziel für regenerative Kraftwerke bis 2020 auf mindestens 50 % angehoben werden müssen.
Stattdessen wurden weiterhin neue fossile Anlagen wie der 2,2-GW-Braunkohlkraftwerksneubau Neurath im August 2012 von
RWE in Betrieb genommen. Hier zeigt sich aber die Achillesferse der Strategie der großen Vier. Ihr Kraftwerkspark kommt mit
einem weiteren schnellen Wachstum von Solar- und Windkraftanlagen nicht zurecht.
Bislang verdrängen Solar- und Windkraft noch vor allem Mittel- und Spitzenlastkraftwerke auf Erdgas- oder Steinkohlebasis.
Am 28. Mai 2012 waren in Deutschland 28 GW Photovoltaik installiert, die mittags bereits ca. 40 % des Strombedarfs deckten
und sämtliche Steinkohle und Gaskraftwerke aus dem Netz verdrängten. Bei einem Ausbau der installierten Leistung auf 50 GW
hätten am gleichen Tag bereits die bestehenden Kernkraft- und Braunkohle-Grundlastkraftwerke auf die Hälfte gedrosselt
werden müssen. Bei 70 GW Photovoltaik würde die Solarenergie mittags sogar den gesamten Strombedarf decken.
Grundlastkraftwerke sind generell nur in engen Grenzen regelbar. Ein Abschalten aller Grundlastkraftwerke am Vormittag
und das Wiederanfahren am Nachmittag ist nicht möglich. Wer eine ambitionierte Energiewende verfolgt und einen wirksamen Klimaschutz
erreichen möchte, müsste dafür eine sinnvolle Lösung anbieten. Diese kann im Prinzip nur auf einen weiteren Ausbau
der Photovoltaik und Windkraft und noch kürzere Restlaufzeiten für Kernkraftwerke und einen Ausstieg aus der Braunkohlenutzung
in Deutschland hinauslaufen.
Die schwankende Erzeugung von Photovoltaik- und Windkraftanlagen wäre dann aber nicht in der Lage, die Versorgungssicherheit
zu garantieren. Dazu wären neue schnell regelbare Reservekraftwerke auf Erdgasbasis nötig. Diese könnten längerfristig
statt mit Erdgas mit erneuerbarem Methan klimaneutral betrieben werden.
Gaskraftwerke haben niedrige Investitionskosten von ca. 500 €/kW und lassen sich vergleichsweise schnell errichten. Der
Aufbau über Deutschland verteilter Reservekapazitäten von 20 GW würde gerade einmal 10 Mrd. € kosten. Im Vergleich zu
den geplanten Kosten für den umstrittenen Netzausbau wäre das ein echtes Schnäppchen. Statt diesen Weg voranzutreiben,
werden derzeit in Deutschland aber sogar Gaskraftwerke stillgelegt.
Die Strategie der Bundesregierung ist offensichtlich eine andere. Bereits mit der letzten EEG-Novelle wurde ein Deckel für
die Photovoltaik bei 52 GW beschlossen. Ab dieser installierten Leistung erhalten neue Solarkraftwerke gar keine EEG-Vergütung
mehr und sind damit schlechter als die Kern- oder Kohlekraftwerke gestellt, die im Rahmen der Energiewende doch eigentlich
durch regenerative Anlagen ersetzt werden sollen. Um nicht außerhalb des EEG zusätzliche größere Photovoltaikkapazitäten zu
riskieren, enthielt der bislang nicht erfolgreiche Altmaier-Vorschlag zur Strompreisbremse zudem eine Umlage auch auf ungeförderte
Eigenverbrauchsanlagen. Da der 52-GW-Deckel schon in zwei oder drei Jahren erreicht werden könnte und damit
schon vor dem Ende der Kernenergienutzung Probleme für die Energieversorger verursachen würde, ist eine weitere Drosselung
des Solarenergiezubaus ebenfalls Ziel des Vorstoßes. Da der Windenergiezubau an Land auch schon bedrohliche Leistungen
angenommen hat, steht er gleich mit auf der Abschussliste.
Während die Energieriesen und die Politik lange Zeit die erneuerbaren Energien unterschätzt haben und durch Fukushima kalt
erwischt wurden, haben sie nun offensichtlich eine neue Strategie. Um die Drosselung des Solar- und Windenergiezubaus politisch
durchsetzen zu können, wurde seit Monaten das Kostenargument gegen den Ausbau erneuerbarer Energien in Szene gesetzt.
Investitionen in den Umbau der Energiewende führen erst einmal zwangsläufig zu steigenden Strompreisen, die sich größtenteils
in der EEG-Umlage wiederfinden. Zusätzlich sorgt der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien für einen negativen
Rückkopplungseffekt. Da der Bedarf an konventionellem Strom rückläufig ist, sinken auch die Preise an der Strombörse.
Da sich die EEG-Umlage aus der Differenz von den Kosten der erneuerbaren Energien zum fallenden Referenzpreis berechnet,
steigt als Konsequenz auch die EEG-Umlage noch schneller an. Der Staat verteuert den Anstieg noch einmal mit der
Mehrwertsteuer. Eine Befreiung großer Teile der Industrie von der EEG-Umlage führt zu einer weiteren Steigerung, da sie nun auf
weniger Stromkunden umgelegt werden muss. Die volle Bandbreite der künstlich nach oben getriebenen EEG-Umlage wurde
durch die Energieversorger direkt an die Haushalte und Gewerbekunden weitergegeben. Die Kosten für die Industrie fielen
hingegen. EEG-befreite Unternehmen können sich inzwischen zu den Preisen aus dem Jahr 2005 an der Strombörse eindecken.
Inflationsbereinigt kommt dies einer Kostensenkung um über 12 % gleich. Möglichkeiten, diese Ungleichgewichte
beispielsweise durch eine Reparatur des nicht funktionierenden Kohlendioxidzertifikatehandels auszugleichen und nicht auch
noch durch eine Mehrwertsteuer auf die EEG-Umlage zu verschärfen, hätte es für die Regierung durchaus gegeben. Offenbar
wurde aber darauf bewusst verzichtet, um den politischen Druck für eine Durchsetzung der in der Strompreis-Sicherung
versteckten Zubaudämpfung für erneuerbaren Energien zu erzeugen.
Dass eine Bundesregierung ein Ausbremsen der Energiewende zugunsten der großen Energiekonzerne durchsetzen kann,
ist allerdings noch keine ausgemachte Sache. Zum einen profitieren auch viele Bundesländer vom Ausbau der erneuerbaren
Energien und werden zu große Einschnitte nicht mittragen. Sich zu sehr auf die Länder zu verlassen, ist andererseits
auch ein gewagtes Spiel, denn auch dort ist der Einfluss der Energiekonzerne nicht zu unterschätzen. Um eine sinnvolle Energiewende
mit funktionierendem Klimaschutz durchzusetzen, müssen alle Bürger von den Widersprüchen der Energiewende
informiert werden.
Politisch müssen ein Braunkohleausstieg und ein Markteinführungsprogramm für Gaskraftwerke durchgesetzt werden.
Das könnte durch eine einfache Umlage auf Kohlebrennstoffe erfolgen, die dann auch zur Stabilisierung der EEG-Umlage
dienen kann. Damit lassen sich die Konkurrenzsituation und die Blockade zwischen den regenerativen und den Grundlastkraftwerken
beseitigen.
Werden dann auch noch die Lasten gerecht verteilt, dürfte ein Großteil der Bevölkerung eine echte und schnelle
Energiewende weiterhin unterstützen. Ob es die Energiekonzerne unter diesen Rahmenbedingungen schaffen, auch langfristig
im Markt noch eine wichtige Rolle zu spielen, bleibt offen. Sie haben lange Zeit mit der Verweigerung der Energiewende
einen sehr hohen Einsatz gespielt. Wer hoch pokert kann aber am Ende auch stark verlieren.
Auch für die regenerativen Energien in Deutschland steht viel auf dem Spiel. Nicht wenige Unternehmen der regenerativen
Branche in Deutschland stehen am Abgrund. Ein Großteil des Know-hows droht an Unternehmen in Ländern wie China
verlorenzugehen. Hier hat man längst die strategische Bedeutung des Zukunftsmarktsder regenerativen Energien erkannt
und wird nicht durch Blockaden wie in Deutschland behindert. Der Showdown in Deutschland zwischen Energiekonzernen
und den erneuerbaren Energien ist aber wohl unvermeidlich.
Eine Vielzahl an Artikeln behandelt aktuelle Themen der Energiepolitik, des Klimaschutzes und des Einsatzes erneuerbarer Energien.
In verschiedenen Print-, Radio- und TV-Interviews nimmt Volker Quaschning Stellung zu aktuellen Fragen über die Energiewende und eine klimaverträgliche Energieversorgung.
Die Kohlendioxidemissionen in Deutschland sind im Jahr 2023 gesunken: Gutes Wetter und schlechte Konjunktur sind die Treiber. Doch schon für 2024 wird von einem erneuten Anstieg der Treibhausgas-Emissionen ausgegangen. Das Einhalten der deutschen Klimaschutzziele für die Jahre 2030 und 2045 ist derzeit unrealistisch.
Warum torpedieren CDU, Markus Söder und die ÖVP ungeniert den Klimaschutz und riskieren mit der Forderung nach einem Stopp des EU-Verbrenner-Aus die Zerstörung der europäischen Autoindustrie? Deren Zukunft entscheidet sich nämlich ganz woanders.
Früher oder später werden Gerichte eine Klimaschutzpolitik einfordern, die
auch Gesetze und Ziele einhält. Beschließen also ausgerechnet Merz oder Söder dann
ein Tempolimit?
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