Nach der Fukushima-Reaktorkatastrophe vor zwei Jahren herrschte Optimismus in der erneuerbaren
Energiebranche. Die Ereignisse zwangen die Regierung zum Beerdigen der Pläne für die Laufzeitverlängerung der deutschen
Kernreaktoren. Ein schneller Durchmarsch der Erneuerbaren war aber bereits damals nicht wirklich zu erwarten. Die großen
Energiekonzerne hatten auf üppige Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke und den Bau von neuen Kohlekraftwerken
spekuliert – beides inkompatibel mit dem regenerativen Zeitalter. Ein Showdown zwischen der alten und neuen Energiewelt
war zwangsläufig zu erwarten (siehe SW&W 04/2012, Seite 12). Nun ist es soweit: Der Showdown tritt in die entscheidende
Phase. Die Bundesregierung hat sich dabei klar auf der Seite der Energiekonzerne positioniert.
Nachdem die Energiekonzerne von Fukushima kalt erwischt wurden, haben sie inzwischen eine neue Strategie entwickelt.
Während der ehemalige Vorstandsvorsitzende von RWE noch Anfang 2012 die Solarenergie in Deutschland so sinnvoll wie
Ananaszüchten in Alaska abkanzelte, bekennt sich die neue Führungsriege durchaus zum Ausbau erneuerbarer Energien.
Selbst eine Versorgung mit einem sehr hohen Anteil erneuerbarer Energien wird inzwischen offiziell akzeptiert – allerdings
nur in der ferneren Zukunft. Nur 5 % der regenerativen Energieanlagen befinden sich derzeit nämlich in der Hand der großen
Energieversorger. Sie haben deren Ausbau mit ihrer ursprünglichen Strategie verschlafen und nehmen stattdessen immer
noch gigantische Kapazitäten an Kohlekraftwerken in Betrieb. Allein in den Jahren 2013 und 2014 sollen trotz aller
Klimaschutzbekenntnisse laut Bundesnetzagentur über 6.000 MW an neuen Steinkohlekraftwerken ans Netz gehen. Die
vor Jahren geplanten und nun in der Pipeline befindlichen Kraftwerke müssen sich erst einmal amortisieren, bevor das regenerative
Zeitalter dann wirklich beginnen darf. Das funktioniert aber nur, wenn der Ausbau erneuerbarer Energien deutlich
langsamer erfolgt als bisher.
Die Strategie der Energiekonzerne zielt dabei auf einen wunden Punkt der erneuerbaren Energien: die Kosten. Eine aktuelle
Studie vom Fraunhofer ISE zeigt zwar eindrucksvoll, dass ein vollständig erneuerbares Energiesystem nicht teurer sein wird
als die heutige Versorgung, das gilt aber erst für die Phase des Endausbaus. Die Investitionen für den Umbau verursachen
in der Übergangszeit zwangsläufig höhere Kosten. Wirklich überraschend ist das nicht. Auch bei der Einführung der Kernenergie
mussten die Strompreise erhöht werden. Die Bundesregierung versprach aber vor zwei Jahren beim Verkünden der
Energiewende nur geringe Kostensteigerungen. Dabei hätte die Bevölkerung nach dem Schock von Fukushima durchaus eine
ehrliche Antwort akzeptiert: Die Strompreise werden in der Übergangszeit spürbar ansteigen, aber keine astronomische
Höhen erreichen und langfristig dann dauerhaft stabil bleiben.
Die eigene Transparenz fällt den erneuerbaren Energien inzwischen zunehmend auf die Füße. Kein Manager der Energiekonzerne
käme auf die Idee, seine Kosten und Gewinne auf der Stromrechnung aufzuschlüsseln. Die Kosten der Energiewende lassen
sich aber vermeintlich in der EEG-Umlage ablesen, die jeder auf seiner Stromrechnung wiederfindet. Gut 20 Mrd. € werden
im Jahr 2013 über das EEG auf Stromkunden umgewälzt. Durch Klientelpolitik, Dilettantismus oder möglicherweise auch
absichtlich wurde diese Summe künstlich nach oben getrieben und auf immer weniger Kunden umgelegt. Neben den Kosten
für den Ausbau erneuerbarer Energien umfasst die EEG-Umlage auch Industriesubventionen und zahlreiche andere Posten.
Weniger als die Hälfte wären im Jahr 2013 wirklich für die Förderung erneuerbarer Energien nötig.
Auch diese Summe wirkt auf den Laien erst einmal abschreckend – aber offensichtlich noch nicht abschreckend
genug. Durch Finanz- und Eurokrise ist auch die Milliarde inzwischen entwertet und hat ihre Dramatik verloren. Darum hat
der Umweltminister im vergangenen Februar gleich noch einen draufgelegt: Rund eine Billion soll nun die Energiewende
kosten. Er hätte auch Trillionen, Trilliarden oder einfach nur „unbezahlbar teuer“ rufen können – die Aussage wäre die gleiche.
Seine Berechnungen erfolgten dabei eher auf Stammtischniveau als wissenschaftlich fundiert. Er unterstützt damit die Linie der
Energiekonzerne, die als Ergebnis der Kostendiskussion der Energiewende nur allzu gerne eine Verschnaufpause einlegen wollen.
Doch selbst wenn diese Zahl stimmen würde, wäre sie alles andere als der Weltuntergang. Das Bruttoinlandsprodukt
Deutschlands beträgt ca. 3,5 Billionen €/a. Über 25 Jahre verteilt entspräche die Billion gerade einmal gut 1 % der deutschen
Wirtschaftsleistung. Das wäre durchaus der Bedeutung der Energiewende angemessen, wenn die Energiewende, wie
Altmaier stets bekräftigt, wirklich das wichtigste Projekt nach dem Wiederaufbau Deutschlands wäre. Ein weiterer Vergleich
relativiert die Kosten der EEG-Umlage noch weiter: Ca. 29 Mrd. € erwirtschafteten die vier Energieriesen 2012 vor Zinsen, Steuern
und Abschreibungen (siehe Abb. 1). Auch wenn dabei nicht alle Erträge aus dem deutschen Stromgeschäft stammten,
ist das deutlich mehr als die EEG-Umlage den Stromkunden aufbürdet.
Doch anstatt die Kosten der Energiewende zu entdramatisieren, malt der Umweltminister seit Monaten den Untergang
des Abendlandes an die Wand, den es mit einer inzwischen auf Eis gelegten Strompreisbremse zu verhindern galt. Möglicherweise
liegt dem Minister sogar wirklich der Stromkunde ein wenig am Herzen. Doch dann lassen seine Vorschläge mangelnde
Kompetenz vermissen. Für eine langfristige Stabilisierung der Strompreise sind seine Vorschläge nämlich völlig ungeeignet.
Ein Blick auf die Strompreisentwicklung der letzten Jahre zeigt, dass es neben der EEG-Umlage noch viele weitere Kostentreiber
gibt (siehe Abb. 2). Selbst wenn wir die EEG-Umlage komplett streichen würden, bliebe eine Steigerung der Strompreise
zwischen den Jahren 2000 und 2013 um stolze 70 %. Die vorgeschlagene Strompreisbremse könnte daher nur wenig zur
Preisstabilisierung beitragen, würde aber sehr zur Freude der Energiekonzerne das Ausbautempo bei den meisten Erneuerbaren
drastisch reduzieren.
Ein weiterer Grund macht eine Stabilisierung der Haushaltsstrompreise wenig wahrscheinlich: Die vorgeschlagene Strompreisbremse
spart die wichtigsten Ursachen weiterer Preissteigerungen aus. Die zunehmenden Kapazitäten erneuerbarer Kraftwerke drücken die
Preise an den Strombörsen. Das ist gut für Industriekunden, die sich direkt an der Börse mit immer billigerem Strom eindecken können.
Bei den Haushaltskunden kommen diese Preissenkungen hingegen nicht an. Da die EEG-Umlage aus den Mehrkosten der erneuerbaren
Energien gegenüber dem Börsenstrompreis berechnet wird, sorgen sinkende Börsenstrompreise für eine höhere
EEG-Umlage und damit für höhere Haushaltsstrompreise.
Für das Erreichen der Klimaschutzziele sind fallende Preise für Kohlestrom und der Kohleboom eine Katastrophe. Im Jahr 2012
sind die energiebedingten Kohlendioxidemissionen in Deutschland bereits um 2,2 % angestiegen. Dabei sollte der CO2-
Zertifikatehandel eigentlich den Preis für Strom aus klimaschädlichen Kraftwerken verteuern und damit zu einem Rückgang
der Emissionen führen. Die Wirtschaftskrise in Europa, eine viel zu großzügige Zuteilung der Zertifikate und der schnelle
Ausbau erneuerbarer Energien haben aber zu einem enormen Überangebot an Zertifikaten und damit zu einem dramatischen
Preisverfall geführt. Eine Rettung des Zertifikatehandels durch das Europaparlament wurde jüngst durch die Kohle- und Industrielobby
verhindert. Die Klimafolgekosten durch den ungezügelten Kohlendioxidausstoß müssen künftig aber auch bezahlt
werden. Rücklagen dafür gibt es keine. Das Umweltbundesamt beziffert die realen Klimafolgekosten
auf 70 € je Tonne Kohlendioxid. Die nicht umgelegten Klimafolgekosten entsprechen damit alleine in Deutschland
einer Subvention von über 20 Mrd. € für fossile Kraftwerke (siehe Abb. 3).
Eigentlich gibt es nur einen Ansatz, der gleichzeitig einen wirksamen Klimaschutz und eine Preisstabilisierung für die
Haushalts- und Gewerbestromverbraucher verspricht: Eine Kohlendioxidbremse. Kohlendioxidemissionen müssen spürbar
verteuert werden. Solange der Zertifikatehandel nicht funktioniert, wäre eine nationale Kohlendioxidsteuer eine funktionierende
Lösung. Verteuern sich die Kohlendioxidemissionen, steigen auch der Preis für Kohlestrom und damit die Preise
an der Strombörse. Das würde wiederum die Differenz der Kosten erneuerbarer Anlagen zum Börsenstrompreis und damit die
EEG-Umlage senken. Dies wären eine einfache Art der Strompreisbremse und ein Beitrag zum Subventionsabbau bei den
Klimafolgekosten und zum Klimaschutz. Solche Maßnahmen würden aber auch die Gewinne der Energiekonzerne schmälern
und mit dem Börsenstrompreis auch die Stromkosten für die Großindustrie erhöhen. Die Regierung bleibt auch hier ihrer Linie
treu. Wirtschaftsminister Rösler blockiert seit Monaten alle Bestrebungen, wenigstens den Preisverfall für die CO2-
Zertifikate zu beenden. Unterstützung erhält er dabei von Kohlelobbyisten aus der SPD-Fraktion und die Grünen halten sich
traditionell mit der Forderung nach neuen Abgaben wie einer CO2-Steuer vornehm zurück. Keine gute Voraussetzung, dass
sich nach der Bundestagswahl hier etwas substanziell ändert.
Doch die Bevölkerung steht weiter fest zum Ausbau erneuerbarer Energien. Durch das Patt zwischen Bundestag und Bundesrat
lassen sich politisch vermutlich die schlimmsten Ausbaubremsen für die erneuerbaren Energien verhindern. Bei regenerativen
Eigenverbrauchsanlagen nimmt auch die Bedeutung von Fördermaßnahmen kontinuierlich ab. Erneuerbare Energien
rechnen sich zunehmend auch ohne staatliche Unterstützung. Hier liegt der wahre Schlüssel zur Energiewende. Es kann
gut sein, dass Energiekonzerne und Politiker daher den Billionenpoker verlieren. Viele Asse haben sie nicht mehr im Ärmel
und ewig lässt sich eine Politik und eine Wirtschaftsweise, die sich gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung stellt
und fahrlässig die Lebensgrundlagen künftiger Generationen bedroht, nicht durchsetzen.
Eine Vielzahl an Artikeln behandelt aktuelle Themen der Energiepolitik, des Klimaschutzes und des Einsatzes erneuerbarer Energien.
In verschiedenen Print-, Radio- und TV-Interviews nimmt Volker Quaschning Stellung zu aktuellen Fragen über die Energiewende und eine klimaverträgliche Energieversorgung.
Die weltweite Elektrizitätserzeugung regenerativer Kraftwerke steigt kontinuierlich an: Sie ist nun rund viermal so groß wie die der Kernkraft. Im Jahr 2023 konnte bereits über ein Drittel des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Moderne Anlagen auf Basis von Wind und Sonne laufen bald der klassischen Wasserkraft den Rang ab.
Im Jahr 2023 konnte weltweit erneut ein Rekord an neu installierter Photovoltaikleistung erreicht werden. Der Bestand an Solaranlagen wuchs um fast 400 Gigawatt. China ist davon für etwa 60% verantwortlich. Trotz des relativ starken Zubaus von 14 Gigawatt bleibt Deutschland international auf dem fünften Platz.
Windkraftnutzung 2023: 1000 Gigawatt weltweit installiert. China steht mit Abstand auf Platz 1, gefolgt von den USA. Deutschland konnte seinen 3. Platz halten. Auch 2023 blieben in Deutschland die Zubauzahlen hinter den Werten von 2014 bis 2017 zurück.