Energierevolution statt einer halbherzigen Energiewende

Erschienen in der Zeitschrift Fachjournal - Fachzeitschrift für Erneuerbare Energien und Technische Gebäudeausrüstung 2014, Editorial S.1.

Abgebaggertes Braunkohledorf Der öffent­liche Klima­wandel­schock reicht sieben Jahre zurück. Damals erhielt der UN-Welt­klimarat den Friedens­nobel­preis. Heute werden seine Berichte nur noch wenig beachtet. Der Klima­wandel ist inzwischen im Alltag angekommen: Die zweite Jahrhundertflut in Deutschland in elf Jahren und ein Winter, der keiner war. Außerdem verspricht unsere Politik, alles für den Klimaschutz zu unternehmen. Medienwirksam reichten Spitzenpolitiker dazu bei der Jahrhundertflut an der Elbe Sandsäcke an.

Dabei geben uns die aktuellen Naturkatastrophen bestenfalls eine wage Ahnung, was durch den Klimawandel auf uns zurollt. Die globale Erwärmung beträgt derzeit nicht einmal ein Grad Celsius. Machen wir weiter wie bisher, werden nach den neuesten Berichten des UN-Weltlimarats bis 2100 gut vier Grad erwartet, 2300 könnten es acht bis zwölf Grad werden. Eine ähnliche Erwärmung fand vor 250 Millionen Jahren am Ende des Perm-Zeitalters statt. Damals starben 70 bis 95 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten aus. Und was unternimmt die Politik, damit unsere Nachkommen nicht das gleiche Schicksal ereilt? Sie reicht Sandsäcke an.

Ein großes Projekt der neuen Regierung ist das EEG 2.0. Der Zubau bei der Photovoltaik soll dabei auf ein Drittel zurückgefahren werden. Der Ausbau der Windkraft wird erschwert. Und der Neubau von Biomasse­kraftwerken wird fast völlig eingestellt. Wird das so umgesetzt, bliebe dadurch die fossile Stromerzeugung die nächsten 15 Jahre nahezu konstant. Wie so die vollmundigen Versprechen zum Klimaschutz eingelöst werden sollen, bleibt ein naturwissenschaftliches Rätsel. Unsere Abgeordneten sind laut Grundgesetz nur ihrem Gewissen verantwortlich. In Wirklichkeit regiert aber das Geld. Was den Klimawandel anbelangt, scheint es, als hätten sie ihr Gewissen direkt an der Kasse abgegeben.

Klimaschutz hin oder her: Deutschland muss angeblich vor dem finanziellen Kollaps durch die Energiewende gerettet werden. Dabei sind die Wirtschaftsdaten Deutschlands der letzten Jahre hervorragend. Negative Spuren für die Wirtschaft durch die Energiewende sind Fehlanzeige. Im Gegenteil: Die erneuerbaren Energien waren vor dem Eingriff der Politik noch ein regelrechter Jobmotor. So geht es beim aktuellen politischen Aktionismus auch nicht um die Zukunft Deutschlands oder eine gerechte Verteilung der Energiewendekosten, sondern um die Zukunft der Energiekonzerne. Diese haben wie Dinosaurier aus einer anderen Zeit munter weiter Kohlekraftwerke gebaut und an der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke gebastelt. Nun sitzen sie auf einem für die Energiewende ungeeigneten Kraftwerkspark und kommen aus dem Dilemma nur heraus, wenn die Politik für sie die Energiewende bremst.

Dabei drohen unserer Volkswirtschaft ganz andere Gefahren. Inzwischen importieren wir jährlich Energieträger für 100 Milliarden Euro. Wenn ein globaler Wirtschaftsboom oder internationale Krisen die Ölpreise explodieren lassen, wird das dramatische Auswirkungen für unser Land haben. Wollen wir uns aus dieser Abhängigkeit befreien, kann die Lösung nur 100 Prozent erneuerbare Energien heißen. Noch können wir auch die Klimaerwärmung auf Werte unter zwei Grad Celsius begrenzen und damit das Schlimmste verhindern. Dazu muss allerdings der komplette Wechsel zu erneuerbaren Energien schon in den nächsten 20 bis 30 Jahren gelingen. Eine ausgebremste Energiewende hilft dabei nicht weiter. Dazu brauchen wir eine echte Energierevolution. In Deutschland gibt es 13 Millionen Einfamilien­häuser, 55 Millionen Menschen mit Balkons oder Terrassen und über Tausend neue Bürgerenergiegenossenschaften. Es gibt noch viel Platz für Solar- und Windkraftanlagen in Bürgerhand. Nun liegt es an uns, die Energierevolution durchzusetzen. Dann brauchen wir unseren Kindern später nicht zu antworten, wir hätten von alledem nichts gewusst.

Volker Quaschning

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