Die Bevöl­kerung will eine schnellere Energie­wende

erschienen im BayWa r.e. Energiereport Deutschland 2015.

Mit neuen Rekord­tempera­turen von über 40 °C in Deutsch­land hat uns der letzte Sommer wieder ein­dring­lich an den Klima­wandel erinnert. Falls wir nicht schnell eine kohlendioxidneutrale Energieversorgung realisieren, wird die mittlere Temperatur bis Ende des Jahrhunderts um vier bis fünf Grad nach oben schnellen. Bis zum Jahr 2300 halten Klimaforscher sogar ein Plus von 8 bis 12 °C für möglich. Bei jedem Grad Erderwärmung wird der Meeres­spiegel langfristig um gut zwei Meter steigen. Bereits bei einem Anstieg um einen Meter würden über 150 Millionen Menschen ihr zu Hause verlieren und zu Klimaflüchtlingen werden. Die noch vergleichsweise geringen Flüchtlingsströme der jüngsten Zeit geben uns einen vagen Eindruck, welche dramatischen Auswirkungen ein ungebremster Klimawandel haben wird. Die Folgen für unsere Kinder und Enkelkinder werden katastrophal sein und überschreiten unser Vorstellungs­vermögen.

Noch kann es gelingen, die weltweite Erwärmung auf Werte von unter zwei Grad zu begrenzen. Wollen wir dies erreichen, haben wir noch knapp 30 Jahre Zeit, eine Energieversorgung aufzubauen, die kein Kohlendioxid mehr freisetzt, sondern ganz ohne klimaschädliche Kohle, Erdöl und Erdgas auskommt und ausschließlich erneuerbare Energien nutzt. Der „Energiereport Deutschland“ zeigt, dass viele Menschen skeptisch sind, ob diese Herkulesaufgabe bewältigt werden kann und nicht wenige befürchten sogar, dass die Energiewende gänzlich scheitern wird.

Dabei ist der Komplettumbau unserer Energieversorgung innerhalb von 20 bis 30 Jahren gar nicht so unrealistisch. Dies zeigen die Beispiele Mobilfunk und Internet. Es ist nicht einmal 10 Jahre her, dass Apple mit einem „One more thing“ eine Revolution einleitete. Heute nutzen die meisten Deutschen ganz selbstverständlich ein Smartphone. Inzwischen gibt es in Deutschland bereits mehr Mobilfunk­anschlüsse als Einwohner. Es ist nicht ersichtlich, warum nicht auch im Bereich der Energieversorgung eine vergleichbare Dynamik einsetzen sollte. Schließlich geht es hier um die Sicherung unserer elementaren Lebensgrundlagen.

Die deutsche Politik hat die Energiewende zwar verkündet, beim heutigen Umbautempo dauert es aber noch rund 150 Jahre, bis unser Energiebedarf nur mit erneuerbaren Energien kohlendioxidfrei gedeckt werden kann. Unter massivem Druck verschiedenster Lobbygruppen fürchtet die Politik ganz offen­sichtlich, die Bevölkerung könnte einen schnelleren Wandel nicht mittragen, und bringt nicht den Mut für die nötigen Schritte auf. Vor diesem Hintergrund liefert der „Energiereport Deutschland“ von BayWa r.e. mit der zugrunde liegenden Befragung sehr spannende Meinungsbilder, die zeigen, dass die Bevölkerung durchaus einen viel schnelleren Umbau unserer Energieversorgung unterstützt. Viele sind bereit, durch den Wechsel ihres Energieversorgers einen eigenen Beitrag zu leisten, und haben auch sehr konkrete Vorstellungen, was ein neuer Anbieter leisten sollte. Der Preis spielt bei der Wahl des Stromanbieters die wichtigste Rolle, Aspekte wie Nachhaltigkeit oder Transparenz haben aber über sehr breite Bevölkerungsschichten hinweg ebenfalls einen sehr hohen Stellenwert.

Obwohl sehr viele der Befragten nicht wirklich wissen, woher ihr Strom kommt, zeigen die meisten dennoch ein sehr gutes Gespür für die Anforderungen an die Energiewende. Sie wünschen sich mit einer überwiegenden Mehrheit eine Energieversorgung aus Solar-, Wind- und Wasserkraftstrom. Die Kohle ist als Energieträger sogar noch unbeliebter als die Kernenergie. Der Bevölkerung ist offensichtlich bewusst, dass für eine nachhaltige Energieversorgung ein baldiger Ausstieg aus der Kohleverstromung dringend realisiert werden muss. Selbst in den von Braunkohle geprägten Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Brandenburg würden sich gerade einmal 4 bis 5 % der Befragten für eine Stromversorgung mit Kohlestrom entscheiden.

Aus diesen doch sehr eindrucksvollen Zahlen lässt sich klar ableiten, dass die Bevölkerung nicht nur einen raschen Umbau unserer Energieversorgung unterstützt, sondern dafür von der Politik auch die nötigen Rahmenbedingungen erwartet. Diese ist nun gefordert, ein Konzept für einen schnellen und sozial verträglichen Ausstieg aus der Kohleverstromung zu entwickeln und umzusetzen.

Auch hinsichtlich des erforderlichen Energiemixes zeigt die Bevölkerung mehr Sachverstand als etliche politische Entscheidungsträger. Im Zuge der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) wurde der Zubau von Photovoltaikanlagen von über 7,5 Gigawatt im Jahr 2012 auf deutlich unter zwei Gigawatt in diesem Jahr gedrosselt. Tritt hier kein Erkenntnisgewinn in Bezug auf eine sinnvolle Höhe des Zubaus ein, kann die Photovoltaik nie mehr als 10 % des deutschen Strombedarfs decken. Um die Energiewende erfolgreich zu Ende zu bringen, müsste zudem die Stromerzeugung aus Windkraft in Deutschland rund verzehnfacht werden. Die Akzeptanz der Energiewende könnte dadurch leiden. Bei einem sinnvollen Energiemix steht die Windkraft ganz klar auf Platz eins. Ein Energiemix, der aus­schließlich auf Windenergie basiert, wird allerdings von der Bevölkerung nur wenig präferiert. Etwa ein Drittel des deutschen Stroms sollte aufgrund technologischer und ökonomischer Überlegungen aus dezentralen Solaranlagen stammen. Das sehen offensichtlich auch die Bürger so. Die Solarenergie ist die beliebteste Energiequelle der Deutschen und ist auch zentraler Bestandteil im Wunschenergiemix der meisten Befragten. Besonders angesagt ist Solarstrom bei der jungen Generation. Solaranlagen sind sexy und bieten Potenzial für echte Lifestyle-Produkte. Damit stellen die Bürger den zögerlichen Kurs der Bundesregierung und den Einbruch des Solarenergiezubaus in Frage. Ob Maßnahmen wie die kürzlich beschlossenen Umlagen auf den Eigenverbrauch von Solarstrom mehrheitsfähig sind, dürfte damit ernsthaft bezweifelt werden. Auch die restriktive Politik der bayerischen Landesregierung hinsichtlich des Windenergieausbaus scheint im eigenen Land nicht unbedingt auf ungeteilte Zustimmung zu stoßen: Der Wunschenergiemix in Bayern besteht nämlich zur Hälfte aus Wind­kraft­strom.

Es bleibt zu hoffen, dass die Politiker endlich aufhören, den Wunsch der Bevölkerung nach einer schnellen Energiewende und einer nachhaltigen Energieversorgung zu ignorieren. Wir Bürger müssen jede Möglichkeit nutzen, weiter Druck auf die Politik aufzubauen, und wir müssen versuchen, den Lobbygruppen, die eine ausreichend schnelle Energiewende bislang verhindert haben, möglichst viel entgegenzusetzen.

Damit sich möglichst viele Menschen daran beteiligen, muss allerdings noch einiges an Aufklärungsarbeit erledigt werden. Hier kommt es also weiterhin auf das Engagement von Schulen, Forschungseinrichtungen, Umweltorganisationen, Verbänden, nachhaltig wirtschaftenden Unter­nehmen und bereits informierten Bürgern an. Solange die Energiewende nicht das für einen wirksamen Klimaschutz nötige Tempo erreicht, haben wir Bürger zumindest die Möglichkeit, durch die Wahl unseres Energieversorgers den Wandel zu beschleunigen und damit ein unmissverständliches Zeichen zu setzen. Wer seinen Strom noch von einem herkömmlichen Versorger bezieht, sollte möglichst schnell auf erneuerbare Alternativen umsteigen. Wir haben die Wahl, denn schließlich geht es dabei um die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.

Volker Quaschning

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