In einem Punkt sind sich inzwischen alle Analysten einig: Der Beitrag der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung
wird weiter deutlich ansteigen. Lag deren Anteil im Jahr 1990 bei mageren drei Prozent, eroberten sie 2009 immerhin schon
respektable 17 Prozent. Im Jahr 2020 gehen verschiedene Szenarien vom Bundesministerium für Umwelt (BMU) oder dem Bundesverband
Erneuerbare Energien (BEE) von einem Anstieg auf 30 bis 50 Prozent aus (Tabelle 1). Derartige Steigerungsraten lassen eine
regenerative Vollversorgung in 40 Jahren durchaus realistisch erscheinen. Während inzwischen die meisten politischen Lager
dieses Endziel weitgehend akzeptieren, gehen die Vorstellungen für den Weg dahin weit auseinander. Nicht selten drängt sich
der Eindruck auf, dass gar keine fundierten Überlegungen existieren, wie der Umbau hin zu einer regenerativen Energieversorgung
aussehen wird. Weil regenerative Energien populär sind, kann sich jedoch kein Politiker oder Energieversorger heute noch offen
gegen einen Ausbau stellen. Der Ausbau regenerativer Energien geht also unvermindert weiter. Die Struktur unserer
Elektrizitätsversorgung wird sich dadurch aber komplett ändern - und das relativ schnell.
in TWh | Ist 2008 | BEE Prognose 2020 | BMU Leitszenario 2008 für 2020 | BMU Leitszenario 2009 für 2020 |
Gesamtverbrauch 1) | 570,7 | 570,7 2) | 570,7 2) | 570,7 2) |
Photovoltaik | 4,3 | 39,5 | 15,5 | 20,0 |
Windkraft (onshore) | 40,4 | 112 | 53,5 | 66,1 |
Windkraft (offshore) | 0 | 37 | 33,7 | 30,2 |
Biomasse | 27,1 | 54,3 | 44,3 | 50,6 |
Geothermie | 0,018 | 3,8 | 1,8 | 1,9 |
Wasserkraft | 21,3 | 31,9 | 22,0 | 24,5 |
Summe Regenerative | 93,1 | 278,5 | 170,8 | 193,3 |
Anteil Regenerative 2) | 16,3% | 48,8% | 29,9% | 33,9% |
Restbedarf 2) | 477,6 | 292,2 | 399,7 | 377,4 |
Bei der heutigen Elektrizitätserzeugung unterscheidet man noch zwischen Grundlast-, Mittellast- und Spitzenlasterzeugung.
Grundlastkraftwerke - in Deutschland meist Braunkohle- und Kernkraftwerke - sind nur eingeschränkt regelbar und werden
bei weitgehend konstanter Leistung betrieben. Als Mittellastkraftwerke kommen oft Steinkohlekraftwerke zum Einsatz.
Energieversorgungsunternehmen und große Teile der Politik sehen in Braunkohle- und Kernkraftwerken in Kombination mit
regenerativen Kraftwerken wie Photovoltaik- oder Windkraftanlagen wichtige Bausteine für eine künftige Elektrizitätsversorgung.
Braunkohlekraftwerke sollen durch Kohlendioxidsequestrierung, also die Abtrennung und sichere Endlagerung von Kohlendioxid,
künftig klimaschonend betrieben werden. Kernkraftwerke gelten allgemein als gut klimaverträglich.
Durch den schnellen Ausbau regenerativer Anlagen müssen konventionelle Kraftwerke immer stärker mit den Fluktuationen
der Erneuerbaren zurechtkommen. Photovoltaik- und Windkraftanlagen fluktuieren stark und sind kaum regelbar. Wasserkraft-,
Biomasse- und Geothermiekraftwerke weisen hingegen geringere Schwankungen auf und könnten sogar regelnd eingreifen. Die
aktuelle konstante EEG-Vergütung verhindert dies jedoch. In diesem Punkt sollte das EEG mit einer nachfrageabhängigen
Vergütung möglichst bald optimiert werden. Der starke Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik sorgt für schnell zunehmende
Schwankungen bei der Nachfrage für konventionelle Kraftwerke. Dadurch verschlechtern sich die Bedingungen für
Grundlastkraftwerke deutlich.
Es ist daher fraglich, ob die von vielen Seiten geforderte Koexistenz von Braunkohle- und Kernkraftwerken mit regenerativen
Kraftwerken realisierbar ist. Für stichhaltige Aussagen zu dieser Fragestellung wurden verschiedene Zubaustufen der
Photovoltaik und Windkraft untersucht. Um die stündliche Leistungsabgabe des Kraftwerksparks zu analysieren, wurden
verschiedene über Deutschland verteilte Referenz-Photovoltaik- und Windkraftanlagen anhand realer stündlicher Wetterdaten
aus dem Jahr 2007 simuliert und die Stromerzeugung auf die jeweiligen Ausbaustufen hochskaliert. Bild 1 zeigt für eine
Juliwoche den Einfluss der schwankenden regenerativen Erzeugung für die heutige Netzstruktur. Grundlastkraftwerke sind
durch die Fluktuationen noch nicht betroffen. Die regenerative Erzeugung geht vor allem zu Lasten von Mittel- und
Spitzenlastkraftwerken.
Bild 2 zeigt die Ergebnisse für einen Ausbau, der dem BMU-Leitszenario 2008 für das Jahr 2020 entspricht.
Die regenerativen Kraftwerke decken dabei rund 30 Prozent des Elektrizitätsbedarfs. Bereits bei diesem Ausbau
geht der Grundlastbedarf auf etwa die Hälfte zurück. Der weitere Ausbau der regenerativen Energien wird künftig
also nicht mehr ausschließlich zu Lasten von Mittellastkraftwerken gehen, sondern sich immer stärker auch auf das
Betriebsverhalten von Grundlastkraftwerken auswirken. Dabei unterstellt das BMU-Leitszenario 2008 lediglich einen
jährlichen Zubau der Photovoltaik von deutlich unter 1 GW. Verglichen mit den Zubauzahlen von 2008 (ca. 1,9 GW) und 2009
(ca. 3,5 GW) sind diese Annahmen eindeutig als zu niedrig einzuschätzen. Die stark reduzierte EEG-Vergütung ab Mitte 2010
sorgt dafür, dass viele Betreiber ihre Anlagen noch vor den Reduzierungsstichtagen ans Netz bringen wollen. Für 2010 sind
daher noch deutlich größere Zubauzahlen als 2009 zu erwarten. Möglicherweise geht der Photovoltaikzubau dann im Jahr
2011 leicht zurück. Werte von unter 1 GW sind aber auch dann nicht zu erwarten. Die regenerative Erzeugung im Jahr
2020 wird daher sicher um einiges über den Annahmen des BMU-Leitszenarios aus dem Jahr 2008 liegen. Das Leitszenario
aus dem Jahr 2009 wurde schon etwas angehoben. Bei dem Leitszenario 2010, das Mitte des Jahres erwartet wird, dürften
die Zubauzahlen vor allem der Photovoltaik noch einmal erheblich nach oben korrigiert werden.
Deutlich ambitionierter sind die Ausbauvorstellungen in der Prognose des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE).
Danach könnte im Jahr 2020 bereits knapp die Hälfte des Stroms aus regenerativen Anlagen stammen. Bild 3 zeigt den
entsprechenden Verlauf der Nachfrage und der Erzeugung ebenfalls für eine Juliwoche. Ein klassischer Grundlastbedarf
existiert in diesem Szenario nicht mehr. Zeitweise erzeugen die regenerativen Kraftwerke sogar mehr als insgesamt
nachgefragt wird. Diese Überschüsse müssten exportiert oder zwischengespeichert werden.
Betreiber herkömmlicher Grundlastkraftwerke dürften bei derartigen Aussichten keine Glücksgefühle bekommen. Für
sie könnte sich schon bald die Frage nach der sinnvollen Integration ihrer Anlagen in den Kraftwerkspark stellen.
Geht der Grundlastbedarf zurück, reduziert sich erst einmal die Auslastung der Grundlastkraftwerke. Die Kosten für
erzeugte Kilowattstunden nehmen damit zu, weil bei gleichen fixen Kosten deutlich weniger Strom ins Netz eingespeist
werden kann. Gleichzeitig steigen die Kosten für den Betrieb der Grundlastkraftwerke. Diese müssten - sofern das
technisch überhaupt möglich ist - wesentlich häufiger als heute hoch- und runtergefahren werden. Dies erhöht den
Verschleiß und treibt die Kosten für Wartung- und Instanthaltung in die Höhe. Ein höherer Verschleiß führt aber
auch zu mehr unplanmäßigen Anlagenausfällen. Speziell bei Kernkraftwerken sollte diese Tatsache zu denken geben.
Die Risiken für Störfälle werden durch diese Entwicklung nämlich deutlich zunehmen.
Mit diesem Hintergrund hat die Diskussion, wie die angeblichen Kosteneinsparungen durch eine Laufzeitverlängerung
von Kernkraftwerken über das Jahr 2020 hinaus verteilt werden sollen, ganz klar das Thema verfehlt. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass wegen der sich bis dahin ändernden Nachfragestruktur gar keine Kosteneinsparungen zu erzielen sind.
Völlig sinnlos erscheinen die Planungen für eine Kohlendioxidsequestrierung bei Braunkohlekraftwerken nach dem Jahr 2020.
Diese würde die ohnehin schon steigenden Kosten der Grundlastkraftwerke noch einmal weiter in die Höhe treiben.
Ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlagen wäre dann ziemlich unwahrscheinlich.
Braunkohle- und Kernkraftwerke sind bei näherer Betrachtung demnach keine gute Brücke ins regenerative Zeitalter.
Im Gegenteil: Sie stehen in direkter Konkurrenz zueinander. Wer für einen schnellen Ausbau regenerativer Kraftwerke
plädiert, spricht sich damit de facto auch das Ende der Nutzung der Braunkohle und der Kernenergie aus.
Bleibt die Frage, ob die Betreiber der gefährdeten Kraftwerke dieser Entwicklung tatenlos zusehen. Zur
Renditemaximierung müssten sie konsequenterweise den Ausbau der regenerativen Energien ausbremsen. Doch dies
ist unpopulär und könnte zu Zeiten liberalisierter Strommärkte Kunden kosten. Es ist aber wahrscheinlich, dass
sich der eine oder andere Ausbau von Stromleitungen, die zum Anschluss neuer regenerativer Kraftwerke benötigt werden,
etwas verzögert. Dabei ließe sich der schwarze Peter recht einfach Anderen zuschieben. Hierdurch kann das Problem der
wegfallenden Grundlast allerdings schlimmstenfalls um wenige Jahre verzögert werden.
Wie ein wirtschaftlicher Betrieb im Bau befindlicher Grundlastkraftwerke wie des 2,2-GW-Braunkohlekraftwerks Neurath
über die nächsten Jahrzehnte gewährleistet werden soll, weiß vermutlich nur der Betreiber RWE. Der RWE-Vorstandsvorsitzende
Dr. Jürgen Großmann übt sich daher schon einmal in Zweckoptimismus: Er fordert eine Laufzeit von 60 Jahren für Atomkraftwerke
und prognostiziert, dass bei zu großem Anteil regenerativer Energien bei uns das Licht ausgeht. Aus seiner Sicht sind diese
Aussagen durchaus verständlich. Schließlich hat er die falschen Kraftwerke in seinem Portfolio und muss irgendwie auch für
deren künftigen wirtschaftlichen Betrieb sorgen. Rund 60 Prozent des RWE-Stromaufkommens stammte 2007 aus Braunkohle- und
Atomkraftwerken, nur 2 Prozent hingegen aus regenerativen Anlagen.
Ein genereller Ausweg für die bedrohten Betreiber könnten neue Stromspeicher sein, die die Nachfrage vergleichmäßigen
und somit das Ende der Grundlastkraftwerke verzögern könnten. Speziell in der Elektromobilität werden dafür gute Chancen
gesehen, da künftige Elektroautos gezielt bei Überschüssen aus der regenerativen Erzeugung geladen werden können. Dies wäre
prinzipiell auch für den Ausbau der regenerativen Energien von Vorteil. Hier spielt aber die Zeit gegen die Braunkohle-
und Atomkraftwerksbetreiber. Die deutsche Automobilindustrie hat bekanntermaßen den Einstieg ins Elektroautozeitalter
regelrecht verschlafen, sodass nennenswerte Stückzahlen an Elektroautos vor dem Jahr 2020 nicht zu erwarten sind.
Die künftige Entwicklung der Elektrizitätsversorgung in Deutschland bleibt also spannend. Es rächt sich, dass seit Jahren
hierzulande kein wirkliches Energiekonzept existiert und sowohl den konventionellen Kraftwerksbetreibern als auch den
Vertretern der erneuerbaren Energien ein "Weiter so" zugerufen wird. Hierdurch wurden in den letzten Jahren
Milliardenbeträge in Kraftwerke investiert, die nicht in eine künftige regenerative Elektrizitätsversorgung passen.
Im Hinblick auf den Klimaschutz wäre es wünschenswert, diese Fehlinvestitionen umgehend zu stoppen, um dadurch nicht
weiter den Aufbau einer klimaverträglichen regenerativen Energieversorgung zu verzögern. Das für den Herbst angekündigte
Energiekonzept der Bundesregierung böte die Chance, die Weichen für eine zukunftsfähige Energieversorgung in Deutschland
zu stellen. Der vielstimmige Chor im Vorfeld, lässt aber ein erneutes "Allseits weiter so" mit neuen Fehlinvestitionen
befürchten.
Eine Vielzahl an Artikeln behandelt aktuelle Themen der Energiepolitik, des Klimaschutzes und des Einsatzes erneuerbarer Energien.
In verschiedenen Print-, Radio- und TV-Interviews nimmt Volker Quaschning Stellung zu aktuellen Fragen über die Energiewende und eine klimaverträgliche Energieversorgung.
Die weltweite Elektrizitätserzeugung regenerativer Kraftwerke steigt kontinuierlich an: Sie ist nun rund viermal so groß wie die der Kernkraft. Im Jahr 2023 konnte bereits über ein Drittel des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Moderne Anlagen auf Basis von Wind und Sonne laufen bald der klassischen Wasserkraft den Rang ab.
Die Kohlendioxidemissionen in Deutschland sind im Jahr 2023 gesunken: Gutes Wetter und schlechte Konjunktur sind die Treiber. Doch schon für 2024 wird von einem erneuten Anstieg der Treibhausgas-Emissionen ausgegangen. Das Einhalten der deutschen Klimaschutzziele für die Jahre 2030 und 2045 ist derzeit unrealistisch.
Warum torpedieren CDU, Markus Söder und die ÖVP ungeniert den Klimaschutz und riskieren mit der Forderung nach einem Stopp des EU-Verbrenner-Aus die Zerstörung der europäischen Autoindustrie? Deren Zukunft entscheidet sich nämlich ganz woanders.