VDI nachrichten: Worauf basiert Ihre Annahme, dass die aktuelle Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die gerade vom Bundestag in den Bundesrat zur Abstimmung geht und die am 1.4. in Kraft treten soll, das Ziel hat, den Ausstieg aus der Kernenergie und den fossilen Brennstoffen zu torpedieren?
Grassmann: Die Novelle ist ein eigenartiges Konstrukt. Das EEG hat ja das erklärte Ziel, alternative Energien in Deutschland
zu fördern. Die Idee dahinter ist, den Ausstieg aus fossilen Energien und aus der Atomenergie voranzutreiben. Dahinter stehen
ökologische Erkenntnisse und mit Fukushima auch Fragen der Risikobeurteilung von Atomkraft. Außerdem soll Deutschland energietechnisch
damit unabhängiger werden, etwa von russischem Gas. Es geht damit auch um volkswirtschaftliche und – wenn Sie an die Vorrangstellung
deutscher Unternehmen in der Solartechnologie weltweit denken – harte ökonomische Ziele.
Heute kann man sagen: Der Ansatz war sehr erfolgreich. Zu erfolgreich. Er ist aus dem Ruder gelaufen und hat zu einem nicht geplanten
Engagement von umweltbewusst denkenden Menschen und innovativen Industrieunternehmen geführt. Der Erfolg hat seinen Preis.
Atomenergie und fossile Energien sind auf dem Rückmarsch. Das merken vor allem die großen Energiekonzerne, die sich lange nicht um
regenerative Energien gekümmert haben. Denken Sie nur an die gerade veröffentlichten Bilanzzahlen von E.on mit 2,2 Mrd. € Verlust
durch den Atomausstieg. Da schwimmen jemandem die Felle weg.
Das heißt, Sie vermuten einen verdeckten Wiedereinstieg in die Kohle- und Kernkraftwirtschaft?
Grassmann: Das wäre den großen Energieunternehmen sicherlich recht. Vor ein paar Tagen hat ein E.on-Vorstand bei einer Anleger-Konferenz in New York mit einer unfreundlichen und sachlich unrichtigen Bemerkung versucht, die eigene Position abzusichern, und behauptet, in fünf Jahren gebe es in Deutschland keine Solarindustrie mehr. Man kann also davon ausgehen, dass Gesetzesvorhaben, die den Ausbau der erneuerbaren Energien schwächen, den großen Konzernen durchaus willkommen sind. Jeder Tag, den ein Atom- oder Kohlekraftwerk, das am Netz ist, länger läuft, erwirtschaftet es natürlich Gewinn.
Wie macht sich das denn bei der EEG-Novelle bemerkbar?
Grassmann: Man kann das an der willkürlichen Deckelung der Förderung von Solarparks festmachen. Eine Leistung von mehr als 10 MW soll ab sofort nicht mehr gefördert werden. Dafür gibt es nicht ein einziges Argument, weder ökonomisch noch ökologisch. Dagegen mehrt sich denn auch in seltener Einheit Widerstand aus Industrie und Ökologie gleichzeitig. Inzwischen können regionale Solarparks zusätzlich Netze stabilisieren und phasenkorrigierende Blindleistung liefern. Sie arbeiten geräuschlos, vermeiden Bodenversiegelung und machen lange Transportwege überflüssig. Mit der in der Herstellung sehr energiesparenden aktuellen Dünnschicht-Technologie steigt zudem die klimawirksame CO2-Entlastung besonders deutlich. Zudem haben wir in der Solarindustrie in Deutschland inzwischen gut 111 000 Arbeitsplätze geschaffen und acht der zwölf größten Projektierer von Solarparks sind deutsche Unternehmen mit technischen Ingenieurleistungen, die an eine lange Tradition hier in Deutschland anknüpfen. Eine Kappung bedeutet nur, dass wir länger von fossilen Energieformen und von der Kernenergie abhängen.
Wann sind denn bei steigenden Strompreisen die erneuerbaren Energien ohne staatliche Förderungen wettbewerbsfähig?
Quaschning: Die letzten dreißig Jahre folgte die Kostenentwicklung der Photovoltaik der Lernkurventheorie: Bei einer Verdopplung der weltweit installierten Leistung sinken die Kosten um rund 20 %. Durch das starke Marktwachstum sind die Kosten alleine zwischen 2008 und 2012 um die Hälfte gefallen. Die Grid-Parity ist bereits heute erreicht. Die Grid-Parity bezeichnet einen Zustand, bei dem die Erzeugung regenerativen Stroms gleich viel kostet wie der Strombezug über ein klassisches Energieversorgungsunternehmen. Das bedeutet, Sie können auf einem Dach eines Einfamilienhauses Solarstrom zu dem gleichen Preis produzieren wie den, den Sie für den Haushaltsstrom bezahlen. Bei Freiflächenanlagen liegt die Vergütung heute schon unter der Anfangsvergütung von Offshore-Windparks. Wir gehen davon aus, dass die Photovoltaik etwa bei einer weiteren Halbierung der Kosten ohne jede Förderung voll konkurrenzfähig wird. Im Endkundenbereich wäre dann sogar die Oil-Parity erreicht und damit auch das Heizen mit Solarstrom preiswerter als mit Erdöl. Je nach Wachstum des Solarmarkts könnte die volle Konkurrenzfähigkeit in fünf bis maximal zehn Jahren eintreten und die Photovoltaik mittelfristig 20 % bis 30 % unserer Stromversorgung sicherstellen. Wichtig ist dafür aber ein weiteres Wachstum. Die EEG-Novelle versucht aber, genau dieses Wachstum stark zu reduzieren und damit als Konsequenz auch die Konkurrenzfähigkeit der Photovoltaik zu verhindern.
Derzeit haben Solarzellen und Solarparks einen miserablen Wirkungsgrad. Nur 10 % der Sonnenenergie werden in Strom umgewandelt. Verhindert das „Neue EEG“ jetzt auch, dass neue Bauformen von Solarzellen zum Einsatz kommen?
Quaschning: Wirkungsgrade von nur 10 % sind schon ein paar Jahre her. Bei Hochleistungs-Konzentratorzellen liegt der Weltrekord bei 43,5 %, bei Siliziumsolarzellen bei 25 % im Labor. Seriensolarmodule kommen derzeit „nur“ auf 15 % bis maximal 20 %. Um die Fortschritte und Ingenieurleistungen aus den Forschungslabors in den Markt zu bringen, muss die Solarindustrie aber auch in der Lage sein, Forschung zu finanzieren. Bei schrumpfenden Märkten und Umsätzen wird das zunehmend ein Problem und damit auch die Innovation unterbunden. Es ist stark zu befürchten, dass wir dadurch die Technologieführerschaft komplett an China verlieren werden, ohne jegliche Chance, diese wieder zurückzuerlangen.
Haben Konzerne bisher zu wenig europäisch gedacht und zu spät in Koppelpunkte zwischen den Netzen der Großkraftwerke investiert, damit die Stromdurchleitung verzögert?
Quaschning: Die Konzerne haben jahrelang den Ausbau erneuerbarer Energien ignoriert und weiterhin auf veraltete Konzepte gesetzt. Mir ist unverständlich, wie man in den letzten Jahren noch neue Kohlekraftwerke planen und bauen konnte, die durch den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien kaum mehr wirtschaftlich zu betreiben sein werden. Auch beim Ausbau der Netze ist bislang nur das unbedingt Nötige erfolgt. Im Gegensatz zu Offshore-Windparks werden Solaranlagen dezentral in der Nähe der Verbraucher installiert. Das führt zu Entlastungen beim nötigen Ausbau der Stromautobahnen. Diese Vorteile ignoriert die aktuelle Politik.
Die fehlenden Stromnetze, um Wind- und Solarstrom zu transportieren, soll nun wer bauen?
Quaschning: Das bleibt weiterhin eine Aufgabe der Netzbetreiber. Wenn es diesen aber nicht gelingt, rechtzeitig die Voraussetzungen für die Energiewende zu schaffen, muss der Gesetzgeber Wege finden, diese Voraussetzungen voranzutreiben. Ein schlüssiges und nachhaltiges Energiekonzept wäre der erste Schritt, ein wenig Planungssicherheit zu schaffen – anstatt kopflos alle paar Monate die Gesetze über den Haufen zu werfen.
Die Fragen stellte Perry Reisweitz.