Nicht einmal zwei Jahre ist es her, dass nach dem Unglück in Fukushima die Energiewende verkündet wurde. Der endgültige
Ausstieg aus der Kernenergie, ein effektiver Klimaschutz und das Zeitalter der erneuerbaren Energien waren nun Regierungsziel.
Bei näherem Hinsehen ist die Bilanz der Energiewende allerdings bislang mehr als mager. Betrachtet man den gesamten
Primärenergieverbrauch in Deutschland, deckten erneuerbare Energien im Jahr 2012 gerade einmal knapp zwölf Prozent des Bedarfs.
Acht Prozent kamen von der Kernenergie, die anderen 80 Prozent von fossilen Energieträgern wie Erdöl, Kohle oder Erdgas.
In anderen Worten: Es fehlen noch 88 Prozent der Energiewende.
Deutsche Bundesregierungen spielen dennoch auf internationaler Bühne gerne die Retter des Klimas. Altmaier und alle seine
Vorgänger haben sich stets medienwirksam zum 2-Grad-Ziel bekannt. Um die Folgen des Klimawandels in gerade noch vertretbaren
Grenzen zu halten, soll nach Empfehlung der Klimaforscher die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzt werden. Ein Grad
Erwärmung haben wir schon. Möchten wir neben dem Kernenergieausstieg auch das Klima ernsthaft schützen, müssten erneuerbare
Energien noch vor 2050 den gesamten Energieverbrauch decken. Ein Konzept hierfür gibt es trotz aller Lippenbekenntnisse zum
Klimaschutz bislang immer noch nicht.
Im Wärmebereich reicht das Umbautempo nicht einmal ansatzweise aus. Die Effizienzanforderungen für Neubauten sind seit
Jahren nicht ausreichend, die Sanierungsrate um den Faktor vier zu niedrig und der Einsatz erneuerbarer Energien nur dank
der Biomasse gerade einmal bei knapp über mageren zehn Prozent. Im Verkehrsbereich sieht es noch düsterer aus. Effiziente
Elektroautos werden in den nächsten Jahren sicher nicht massenhaft in den Markt drängen und die Daumenschrauben zum
Spritsparen bei altherkömmlichen Verbrennungsmotoren wurden auf Drängen der Automobilindustrie erst gar nicht angezogen.
Spötter deuten die peinlichen Verzögerungen beim Berlin-Brandenburger-Großflughafen als größten Beitrag zur
Treibhausgasreduktion im Verkehrsbereich. Andere Ideen, die Kohlendioxidemissionen beim Luft- oder Seeverkehr spürbar zu
senken, gibt es praktisch nicht.
Nur in einem Bereich ging die Energiewende bislang mit zügigem Tempo voran – dem Elektrizitätsbereich. Rund 22 Prozent
des Stroms wurden 2012 bereits durch erneuerbare Energien gedeckt. Der wesentliche Motor war dabei vor allem der
dynamische Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik. Genau in diesem Bereich soll nun die Notbremse gezogen werden.
Da der Ausbau angeblich für die Allgemeinheit zu teuer wird, soll er künftig nur noch im Schneckentempo erfolgen.
Ein Deckel soll die EEG-Umlagekosten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) durch Neubauten begrenzen.
Investieren die großen Energiekonzerne kräftig in die ohnehin schon mit besonders hohen Vergütungen bedachten
Offshore-Windparks gibt es dann womöglich kein Geld mehr zur Förderung neuer privater Solaranlagen. Wer künftig ohne
jegliche Förderung eine Solaranlage errichtet, soll zudem mit einer Umlage belastet werden. In anderen Bereichen würde
man dies schlicht eine Strafsteuer nennen. Damit soll angeblich der Tatsache begegnet werden, dass der Strom für alle teurer
wird, wenn immer mehr Leute eine Solaranlage errichten und damit weniger Strom von ihren Versorgern kaufen.
Genauso könnte man aber eine Nahverkehrsumlage auf Fahrräder oder eine Einzelhandelsumlage für den Anbau von Tomaten im
eigenen Garten oder auf dem eignen Balkon fordern. Auch eine Mario-Barth-Umlage auf TV-Geräte wäre zu überlegen, schließlich
entsolidarisieren sich Mario-Barth-TV-Zuschauer von den Besuchern der teuren Live-Shows. Während die eigene Tomate und das
eigene Fahrrad wohl weiterhin toleriert werden dürften und auch Mario Barth nicht mit politischer Unterstützung rechnen kann,
bedrohen eigene Solaranlagen aber zunehmend eine einflussreiche Lobbygruppe: Die großen Energiekonzerne.
Durch den schnellen Ausbau privater Wind- und Solaranlagen haben die großen Stromkonzerne in den letzten Jahren deutlich
an Marktanteilen verloren. Sie hatten noch bis vor kurzem auf neue fossile Kraftwerke gesetzt, die nun durch die schnell
steigende erneuerbare Konkurrenz immer weniger Profit abwerfen. Während erneuerbare Energien im Bundesdurchschnitt 22 Prozent
des Strombedarfs decken, liegt der Anteil bei einigen großen Versorgern nur bei etwa 5 Prozent. Geht der Ausbau bei der
Windkraft und der Photovoltaik in unvermindertem Tempo weiter, würden zahlreiche klimaschädliche Kohlekraftwerke in den
nächsten Jahren schlichtweg unrentabel. Diese Bedrohung hat man inzwischen erkannt, und versucht durch geschickte Lobbyarbeit
Sand ins Getriebe der erneuerbaren Energien zu streuen. Inzwischen offenbar mit zunehmendem Erfolg.
Als Argument gegen einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien hat man inzwischen die steigenden Strompreise entdeckt.
Dabei mutet es schon befremdlich an, wenn sich der gutverdienende Vorstandsvorsitzende eines großen Energiekonzerns
öffentlich Sorgen um die Stromrechnungen von Hartz-IV-Empfängern macht. Auch die Politik bläst inzwischen fest in das gleiche
Horn. Nun rächt sich, dass man nach Fukushima nicht mit offenen Karten gespielt hat. Eine Energiewende wurde verkündet, die
kaum Mehrkosten verursachen sollte. Dabei versteht auch jeder Nichtbetriebswirt, dass erst einmal investiert werden muss,
wenn ein neues System aufgebaut werden soll.
Als man in den 1970er- und 1980er-Jahren die Kernenergie in Deutschland ausbaute, führte das damals auch zu steigenden
Strompreisen. Seriöse Berechnungen von zahlreichen Forschungsinstituten zeigen, dass bei einer ambitionierten Energiewende
zwar anfänglich die Preise steigen, sich mittelfristig aber stabilisieren und langfristig sogar wieder sinken.
Volkswirtschaftlich bietet die Energiewende sogar enorme Vorteile, mit denen wir Steuergelder an andere Stelle sparen können.
Für die meisten in Deutschland wird Strom trotz einer schnellen Energiewende und trotz steigender Strompreise weiter bezahlbar
bleiben. Für alle anderen muss man Wege des sozialen Ausgleichs finden. Statt darüber zu reden, erhebt die Regierung sogar
noch dreist 19 Prozent Mehrwertsteuer auf die EEG-Umlage und beklagt sich dann über die zu hohen Strompreise, die sie
zumindest anteilig selbst mit verursacht hat.
Die wenig planvolle Energiepolitik der Bundesregierung hat in den letzten Monaten bereits zahlreiche, teils mit viel
Geld bezuschusste Solar- und Windkraftunternehmen in die Insolvenz getrieben. Weitere Unternehmen könnten folgen. Wir
drohen leichtfertig die Technologieführerschaft an China zu verlieren. Doch diesen Preis ist die Regierung offensichtlich
bereit zu zahlen, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu drosseln und so die Geschäftsmodelle der großen Stromkonzerne
zu schützen.
Keiner der Regierungen der letzten 20 Jahre ist es gelungen, eine Energiewende mit ausreichendem Tempo für den
Klimaschutz auf ein solides Fundament zu stellen und auch jetzt wird wieder kräftig am wackeligen Fundament gerüttelt.
Es bleibt aber zu hoffen, dass der Altmaier-Vorstoß bei den Bürgerinnen und Bürgern wieder mal eine Schlussverkaufsstimmung
auslösen wird und sie bis zur Bundestagswahl erneut einen Rekord bei der Errichtung neuer Solar- und Windkraftanlagen
aufstellen. Nur so kann die Rechnung der Energiekonzerne nicht aufgehen, die Energiewende auszubremsen und die Konkurrenz
von erneuerbaren Energien durch Abgaben und Umlagen zu unterbinden.
Wir haben es in der Hand, eine echte Energiewende gegen Konzerninteressen durchzusetzen. Möglicherweise überzeugen
wir damit auch die künftige Bundesregierung, endlich eine ernst gemeinte Energiewende ins Leben zu rufen und so die
Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu schützen. Wie gesagt, 88 Prozent der Energiewende stehen noch aus. Nun auch
noch das Tempo rauszunehmen ist sicher nicht die richtige Strategie.
Eine Vielzahl an Artikeln behandelt aktuelle Themen der Energiepolitik, des Klimaschutzes und des Einsatzes erneuerbarer Energien.
In verschiedenen Print-, Radio- und TV-Interviews nimmt Volker Quaschning Stellung zu aktuellen Fragen über die Energiewende und eine klimaverträgliche Energieversorgung.
Die weltweite Elektrizitätserzeugung regenerativer Kraftwerke steigt kontinuierlich an: Sie ist nun rund viermal so groß wie die der Kernkraft. Im Jahr 2023 konnte bereits über ein Drittel des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Moderne Anlagen auf Basis von Wind und Sonne laufen bald der klassischen Wasserkraft den Rang ab.
Das Wachstum erneuerbarer Energien steigt kontinuierlich. 2023 haben erneuerbare Energien bereits einen Anteil an der weltweiten Kraftwerksleistung von 45 Prozent erreicht. Kernkraftwerke liegen dagegen nur noch bei 4 Prozent. Für wirksamen Klimaschutz muss der Ausbau erneuerbarer Energien aber noch weiter gesteigert werden.
Früher oder später werden Gerichte eine Klimaschutzpolitik einfordern, die
auch Gesetze und Ziele einhält. Beschließen also ausgerechnet Merz oder Söder dann
ein Tempolimit?
Am 14. Mai wurde in Deutschland so viel Solarstrom ins Netz eingespeist wie noch
nie. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Nachbarländer, speziell auf die
Atomkraft-Ambitionen in Frankreich.