Sind wir nicht auch alle Volks­wagen?

erschienen in der Zeitschrift joule 6/2015, S.13.

Kaum ein Skandal der letzten Jahre hat uns so lange in Atem gehalten wie die Abgas­mani­pu­lationen von VW. Eine echte Über­raschung war die Umge­hung der Abgas­grenz­werte für mich allerdings nicht. Umwelt- und Klima­schutz stehen bei Energie- und Automobilkonzernen nicht hoch im Kurs.

Sie haben Katalysator, Dieselrußfilter, Schadstoff- und CO2-Grenzwerte oder den Emissionshandel bekämpft und deren Einführung durch ihren Einfluss auf die Politik verschleppt oder verwässert. Dabei konnten sie bislang stets auf das Wohlwollen der Politik bauen. Umwelt- und Klimaschutz gelten nur so weit, wie sie zur Beruhigung der Volksseele dienen. Ansonsten sind sie schlecht für das Geschäft und bedrohen Gewinne und Arbeitsplätze.

Doch der Preis, den wir alle dafür zahlen, ist exorbitant: Jährlich sterben weltweit zigtausende Menschen durch Umweltverschmutzung. Allein auf das Abgaskonto deutscher Kohlekraftwerke gehen schätzungsweise 3 000 Todesfälle pro Jahr. Bereits durch die bisherige globale Erwärmung von rund einem Grad Celsius werden die Meeresspiegel um einen Meter ansteigen. Mehr als hundert Millionen Menschen werden allein dadurch in absehbarer Zukunft ihr Zuhause verlieren. Schaffen wir es in den nächsten 25 Jahren nicht, eine Energieversorgung ganz ohne Kohle, Erdöl oder Erdgas aufzubauen, werden die Flüchtlingszahlen ganz andere Dimensionen als heute erreichen.

Mit Verwunderung beobachten viele von uns die Machenschaften von VW. Doch was unterscheidet uns eigentlich von dem Volkswagenkonzern? Nicht viel. Wir alle wissen, dass wir die Grenzwerte unserer Erde ständig überschreiten. Doch wir tolerieren eine deutsche Energiepolitik, mit der eine CO2-freie Energieversorgung erst hundert Jahre zu spät erreicht werden kann. Wir beziehen unseren Strom mehrheitlich immer noch von klassischen Energieversorgern und damit aus dreckigen Kohlekraftwerken und wir sorgen mit unserem Kaufverhalten dafür, dass spritfressende SUV's Verkaufsschlager sind und nicht abgasfreie Elektroautos.

Der VW-Konzern musste schmerzhaft erfahren, was es bedeutet, das Vertrauen der für ihn wichtigen Kunden zu verspielen. Auch wir riskieren das Vertrauen der für uns wichtigsten Personen: Unserer Kinder. Handeln wir endlich, sodass wir künftig die Grenzwerte unserer Erde einhalten und den Klimaschutz auf die Reihe bekommen. Machen wir Politik und Unternehmen klar, dass für uns Umwelt- und Klimaschutz und nicht Konzerngewinne höchste Priorität haben. Und unternehmen Sie etwas, um auch Ihre persönlichen Grenzwerte nicht weiter zu überschreiten.

Volker Quaschning

Auch einen Klick wert:

Web-Artikel von Volker Quaschning
Online-Artikel von Volker Quaschning

Eine Vielzahl an Artikeln behandelt aktuelle Themen der Energiepolitik, des Klimaschutzes und des Einsatzes erneuerbarer Energien.

Medienbeiträge von Volker Quaschning
Medienbeiträge von Volker Quaschning

In verschiedenen Print-, Radio- und TV-Interviews nimmt Volker Quaschning Stellung zu aktuellen Fragen über die Energiewende und eine klimaverträgliche Energieversorgung.

Weltweite Elektrizitätserzeugung regenerativer Kraftwerke
Weltweite Elektrizitätserzeugung regenerativer Kraftwerke

Die weltweite Elektrizitätserzeugung regenerativer Kraftwerke steigt kontinuierlich an: Sie ist nun rund viermal so groß wie die der Kernkraft. Im Jahr 2023 konnte bereits über ein Drittel des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Moderne Anlagen auf Basis von Wind und Sonne laufen bald der klassischen Wasserkraft den Rang ab.

Weltweit installierte regenerative Kraftwerksleistung
Weltweit installierte regenerative Kraftwerksleistung

Das Wachstum erneuerbarer Energien steigt kontinuierlich. 2023 haben erneuerbare Energien bereits einen Anteil an der weltweiten Kraftwerksleistung von 45 Prozent erreicht. Kernkraftwerke liegen dagegen nur noch bei 4 Prozent. Für wirksamen Klimaschutz muss der Ausbau erneuerbarer Energien aber noch weiter gesteigert werden.

Beschließen Merz und Söder ein Tempolimit und droht das Atom-Aus in Frankreich?
Beschließen Merz und Söder ein Tempolimit und droht das Atom-Aus in Frankreich?

Früher oder später werden Gerichte eine Klimaschutzpolitik einfordern, die auch Gesetze und Ziele einhält. Beschließen also ausgerechnet Merz oder Söder dann ein Tempolimit?
Am 14. Mai wurde in Deutschland so viel Solarstrom ins Netz eingespeist wie noch nie. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Nachbarländer, speziell auf die Atomkraft-Ambitionen in Frankreich.

Nach oben