ETAgreen
Umwelt- und klima­politisch absolut kontra­produktiv

Interview erschienen in ETAgreen 02/2010

Spätestens seit dem Wahlerfolg der schwarz-gelben-Koalition im letzten Jahr wird wieder öffentlich über eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und Neubauten von Kohlekraftwerken gesprochen. Dass dies Auswirkungen auf den weiteren Ausbau regenerativer Energien hätte, ist einleuchtend. ETAgreen sprach mit Prof. Dr. Volker Quaschning über den Einfluss des Ausbaus erneuerbarer Energien auf den Betrieb von herkömmlichen Grundlastkraftwerken in Deutschland und fragte nach, wozu Laufzeitverlängerungen und Neubauten führen würden.

 

Herr Prof. Dr. Volker Quaschning, gleich vorweg: Haben Grundlastkraftwerke in Deutschland noch eine Zukunft, z.B. durch Kohlendioxidsequestrierung bei Braunkohlekraftwerken?

Bei der heutigen Elektrizitätserzeugung unterscheidet man noch zwischen Grundlast-, Mittellast- und Spitzenlasterzeugung. Grundlastkraftwerke – in Deutschland meist Braunkohle- und Kernkraftwerke – sind nur eingeschränkt regelbar und werden bei weitgehend konstanter Leistung betrieben. Grundlastkraftwerke passen allerdings immer weniger in unsere sich schnell verändernde Energiewirtschaft. Sie können nämlich nur unzureichend die großen Schwankungen ausgleichen, die durch den Ausbau regenerativer Energien auftreten. Werden Grundlastkraftwerke häufig heruntergeregelt, verschlechtert sich deren Wirtschaftlichkeit erheblich und der Verschleiß und die Störanfälligkeit nehmen zu. Soll dann auch noch kostenaufwändig Kohlendioxid abgetrennt und endgelagert werden, ist Braunkohlestrom teurer als heutiger Windstrom. Eine echte Zukunft haben diese Kraftwerke in Deutschland daher nicht.

Wie wirkt sich der schnelle Ausbau regenerativer Kraftwerke auf die Elektrizitätsnachfrage aus? Ist eine Koexistenz von Braunkohle- und Kernkraftwerken mit regenerativen Kraftwerken realistisch und überhaupt wünschenswert?

Ob man den Betrieb von Braunkohle- und Kernkraftwerken wünschenswert findet, muss jeder für sich entscheiden. Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde hat beispielsweise eine katastrophale Klimabilanz und ist alleine für 2 bis 3 Prozent der deutschen Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Ob Kernkraftwerke überhaupt sicher zu betreiben sind, ist auch sehr umstritten. Energiekonzerne oder Unternehmen der Kohle- oder Atomwirtschaft bewerten das aber sicher anders. Bereits in 10 Jahren wird der Anteil regenerativer Energien voraussichtlich so stark zunehmen, dass eine sinnvolle Integration von Grundlastkraftwerken nur noch schwer möglich ist.

Welchen speziellen Einfluss hat darauf der Ausbau der Photovoltaik?

Die Zubauzahlen der Photovoltaik steigen momentan sehr schnell an. Bei der Photovoltaik erwarten wir in diesem Jahr einen neuen Rekord. Eine neu installierte Photovoltaikleistung von deutlich mehr als 5 GW ist nicht unrealistisch. Bis zum Jahr 2020 könnten in Deutschland dann 40 bis 50 GW am Netz sein. Die Leistungsnachfrage liegt an Wochenenden im Sommer im Vergleich dazu zwischen 50 und 60 GW. Die Photovoltaik wird dann mittags bereits einen erheblichen Teil der Leistung decken.

Was wird in Zukunft anstelle des reinen Grundlastbetriebs nötig und welche Auswirkungen ergeben sich daraus?

Einen Grundlastbetrieb auf der Erzeugerseite wird es in absehbarer Zeit in Deutschland nicht mehr geben. Dies bedingt aber einen kompletten Umbau der Energieversorgungsstrukturen. Wir brauchen neue Leitungen, Speicher und gut regelbare Kraftwerke. Biomassekraftwerke könnten einen Teil der Regelfunktion übernehmen, laufen im Moment aber auch noch weitgehend im Grundlastbetrieb. Es reicht nicht aus, einfach nur regenerative Kraftwerke zu bauen, ohne sich gleichzeitig Gedanken über den zügigen Umbau der Versorgungsstrukturen zu machen. Ansonsten haben wir riesige Wind- und Solarkraftwerke und bekommen den Strom wegen fehlender Leitungen nicht zu den Verbrauchern. Ohne neue Speicher wird es zunehmend Probleme geben, wenn die Erzeugung der regenerativen Kraftwerke schwankt. Grundlastkraftwerke können da auch nicht helfen. Möglicherweise wird der nötige Umbau der Versorgungsstrukturen aber auch bewusst verschleppt. Das könnte bedeuten, dass irgendwann eine Zwangspause beim Neubau von regenerativen Kraftwerken eingelegt werden muss, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden. Dann ließen sich die konventionellen Kraftwerke doch noch etwas länger betreiben.

Sie fordern einen völligen Verzicht auf den Neubau von Grundlastkraftwerken und einen zeitnahen Auslaufplan für bestehende Grundlastkraftwerke. Die schwarz-gelbe Koalition sieht dies ein wenig anders und diskutiert derzeit über Laufzeitverlängerungen für AKWs und den Bau neuer Kohlekraftwerke. Wozu würde dies Ihrer Ansicht nach führen?

Wir werden in wenigen Jahren zu einer Situation kommen, dass durch die von den regenerativen Kraftwerken im Netz verursachten Schwankungen der Leistung einen wirtschaftlichen Betrieb der Grundlastkraftwerke nicht mehr zulassen. Wer eine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken möchte oder neue Braunkohlekraftwerke errichtet, müsste daher konsequenterweise auch den Ausbau regenerativer Energien drosseln. Das hat man so in der Politik offenbar noch nicht verstanden oder es wird bewusst verschwiegen. Denkbar wäre, dass die Vorrangregelung für regenerativen Strom im EEG kippt. Dann müssten bei hohem Leistungsangebot regelmäßig Solar- und Windkraftanlagen abgeschaltet werden, damit Braunkohle- und Atomkraftwerke durchlaufen können. Umwelt- und klimapolitisch wäre das absolut kontraproduktiv.

Welche Speicheralternativen gibt es zur Elektromobilität?

Elektroautos sind sicher eine sehr attraktive Speicheroption, da deren Speicher eine Doppelfunktion übernehmen können: Sie speichern den Fahrstrom, nehmen gleichzeitig auch Überschüsse aus dem Netz auf und können sogar Engpässe ausgleichen. Alternativen sind natürlich speziell errichtete Speicher wie Batterien oder Druckluftspeicher. Eine interessante Option ist auch die thermische Speicherung. Stromüberschüsse ließen sich speichern, indem die Temperatur in Kühlhäusern abgesenkt und in Wärmespeichern angehoben wird. Besteht dann ein Engpass, kann man die thermischen Speicher vom Netz nehmen, bis die ursprüngliche Temperatur wieder erreicht ist.

Stichwort intelligente Netze. Welche positiven Auswirkungen ergeben sich daraus und wie schnell müssten diese im Idealfall in Deutschland aufgebaut werden?

Eine Alternative zur Speicherung ist die Lastverlagerung. Ziel ist dabei, Elektrogeräte zielgerichtet dann zu betreiben, wenn Überschüsse im Netz bestehen. Dies müsste zentral gesteuert werden. Wünschenswert wäre eine schnelle Realisierung. Bis alle Verbraucher erfasst werden, gehen aber sicher noch einige Jahre ins Land.

Geben Sie uns bitte einen Ausblick: Wie sollte unsere Energieversorgung 2020 aussehen und wie wird Sie aussehen?

Für einen wirksamen Klimaschutz müssten wir im Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 1990 bereits 50 Prozent an Treibhausgasen eingespart haben. Hierfür wurde aber der Umbau der Energieversorgung nicht rechtzeitig eingeleitet. Im Bereich der Stromversorgung ist aber immerhin ein regenerativer Anteil von 40 bis 50 Prozent möglich. Mehr Sorgen mache ich mir um die Sektoren Mobilität und Gebäudeenergiebedarf. Hier wird man vermutlich nicht ganz so schnell einen solch hohen Anteil regenerativer Energien erreichen können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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