Professor Quaschning, warum gibt es diese Neuauflage Ihres Buches – und an wen wendet es sich?
Das Buch wendet sich an die breite Masse. Es ist kein Lehr- oder Fachbuch, sondern es will die Themen Energiewende, Erneuerbare Energien und Klimaschutz allgemeinverständlich und anschaulich beschreiben. Deshalb sind die Energieformen beschrieben und die dazugehörigen Technologien. Man kann lernen, wie eine Anlage geplant und gebaut wird. Wichtig ist auch die Bandbreite: Wer noch nichts darüber weiß, wie Energie aus Sonne, Wind, Wasser oder anderen Energieträgern entsteht – oder wer vergleichen will, was das jeweils kostet, findet hier Information.
Ihre These lautet: „Wir brauchen bis 2040 schon 100 % Erneuerbare Energien, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden“. Warum?
Der Klimawandel ist ja in vollem Gange – nehmen wir nur die zwei „Jahrhundert“fluten in gerade mal elf Jahren. Klimaforscher prophezeien, dass wir bis zum Ende des Jahrhunderts fünf bis sechs Grad Temperaturerwärmung erreichen könnten – mit bislang kaum absehbaren Folgen auf Natur und Menschheit. Wenn wir das nicht wollen, bedeutet das für uns, dass wir in den nächsten 30 Jahren unsere Energieversorgung komplett umbauen müssen. Sie muss vollständig C02-frei werden.
Eine der wichtigsten Lehren aus dem Buch lautet: „Jeder kann zum Klimaschutz beitragen. Am wichtigsten ist nicht das Energie erzeugen, sondern das Energie einsparen!“ Normalerweise ist von Eigenverantwortung bei diesem Thema nur selten die Rede, oder?
Das Energiesparen ist aber ein sehr wichtiger Teil der Energiewende. Einen ungedämmten Altbau mit einer Solaranlage zu verschönern macht nur wenig Sinn. Wir schaffen die Energiewende nur, wenn wir die regenerativen Energien auf der einen Seite fördern und auf der anderen Seite die Energieverschwendung aufhalten.
Die Kosten der Energiewende werden zurzeit heiß diskutiert. Sie schreiben, dass die vielgeschmähte EEG-Umlage gar nicht allein schuld ist an den hohen Strompreisen.
Ich habe den Eindruck, dass die Stromkosten jetzt als Vorwand genutzt werden sollen, um den Ausbau der Erneuerbaren aufzuhalten. Es scheint so, als ob die Energiekonzerne und auch einige politische Parteien jetzt die Strategie fahren würden: "Wir wollen ja die Energiewende, aber leider ist die ja so teuer, deshalb müssen wir da Tempo rausnehmen". Wenn wir uns mal die Entwicklung der Strompreise ansehen: die sind seit dem Jahr 2000 um mehr als das Doppelte gestiegen. Von dieser Steigerung macht die EEG-Umlage aber gerade mal ein Drittel aus. Also selbst wenn wir die EEG-Umlage komplett rausnehmen, wäre der Strompreis noch um über 70 % angestiegen. Darüber spricht kaum jemand.
Sie werfen Energiekonzernen und Politik vor, dass sie gemeinsam die Energiewende bremsen würden. Außerdem sei die enge Verflechtung der Konzerne in die Politik sehr schädlich. Warum?
Die Politik hat die Energiewende ja nicht gemacht, weil sie davon überzeugt war, sondern weil sie sich nach Fukushima dazu gedrängt sah und befürchtete, ansonsten Wahlen zu verlieren. Deshalb gibt es dahinter auch kein durchdachtes Konzept, sondern eine lose Zusammenstellung verschiedener Einzelmaßnahmen, die alle zusammen die Kosten aus dem Ruder laufen lassen. Wer hat denn die Energiewende bislang gestaltet? Doch nicht die Konzerne. Den großen Energiekonzernen gehören ja gerade mal 5 % der EE-Anlagen. Wenn ich Chef von RWE oder Eon wäre und mir meinen Kraftwerkspark anschauen würde, der zu den komplett anderen Strukturen der Energiewende überhaupt nicht passt, dann würde ich einbrechende Gewinne fürchten. Die Reaktion ist also logisch: Tempo aus der Energiewende rausnehmen und langfristig versuchen, die Firmenstrategie behutsam zu ändern. Und dank der traditionell großen Verknüpfung der Energiekonzerne in die Politik – schauen Sie nur, wie viele Politiker später in Aufsichtsräten von Großkonzernen landen – wird diese Strategie Teil der Bundes- und Landespolitik. Die Schlussfolgerung: Energiewende funktioniert nicht durch die Energiekonzerne und auch nicht durch die Politik – da sind die Bürger gefragt. Nur sie können Projekte realisieren und die Politik antreiben.
Für die Energiewende sind also die Bürger verantwortlich?
Wenn wir die Energiewende schnell und demokratisch haben wollen, dann muss ihre Umsetzung Bürgersache sein. Das ist ja auch eine riesige Chance – diese völlige Neugestaltung des Energiesektors hin zur Dezentralität und Gewinnteilung.
Volker Quaschning: Ziehen wir nicht schnell die Reißleine und bauen wir nicht umgehend unsere Energieversorgung radikal um, werden die Folgen des Klimawandels bald unkontrollierbar sein.
Sie bezeichnen Biomasse als Energielieferant in ihrem Buch als kritisch, aber unverzichtbar, weil sie stets verfügbar ist und als Regelenergie dienen kann. Unter welchen Bedingungen und wo sollen die Rohstoffe produziert werden und welchen Anteil kann Biomasse maximal haben?
Biomasse wird eine wichtige Rolle spielen, um von den fossilen Brennstoffen und deren speicherbarer, flexibel verfügbarer Energie wegzukommen. Der Riesenvorteil der Biomasse ist eben auch, dass wir dank ihr auf Knopfdruck Brennstoff zur Verfügung haben. Wichtig ist aber unbedingt der nachhaltige, umweltverträgliche Anbau. Das Potenzial für den Anteil der Biomasse an der Gesamtenergiebereitstellung sehe ich in Deutschland bei etwa 10 bis 15 %. Bei den Biokraftstoffen sieht man leider auch die Konzeptlosigkeit der Bundesregierung. Es wird nicht möglich sein, genügend Biokraftstoffe für den gesamten Verkehrssektor bereitzustellen – die Flächen für den Anbau haben wir gar nicht. Hier wird man sich auf bestimmte Bereiche konzentrieren: im Flug- oder Schiffsverkehr beispielsweise. In anderen Sektoren wie dem Pkw-Bereich wird die Entwicklung wahrscheinlich verstärkt auf elektrische Antriebe hinauslaufen – zumindest im Stadtverkehr.
Welche Rolle, denken Sie, wird die Landwirtschaft bei der Energiewende spielen und wird sie Vorteile daraus ziehen?
Landwirte besitzen heute mehr als doppelt so viel EE-Erzeugungsanlagen wie die vier großen Energiekonzerne. Schon das allein zeigt, wie wichtig sie in diesem Prozess sind. Die große Chance der Landwirtschaft ist, dass sie die Flächen zur Verfügung stellen kann – und zwar sowohl für Solaranlagen oder Windräder als auch für den Anbau von Biomasse.
Die Fragen stellte Catrin Hahn.