Die deutsche Automobilindustrie manövriert sich mit dem Diesel ins Abseits, warnt der Energie-Experte Volker Quaschning. „Das Festhalten an alten Technologien wie dem Diesel wird zu einer Hypothek für immer größere Teile der deutschen Wirtschaft.“
Herr Quaschning, vielen in Deutschland geht die Energiewende zu schnell. Ihnen geht sie viel zu langsam. Warum?
Wenn wir die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzen wollen, wie es im Dezember 2015 auf der Pariser Klimakonferenz von vielen Staaten, darunter auch Deutschland, beschlossen wurde, dann müssen wir Gas geben. Wir müssen unseren CO2-Ausstoß bis 2040 auf null senken. Strom- und Wärmeerzeugung sowie der gesamte Verkehrssektor müssen dann ohne Öl, Kohle und Gas auskommen. Mit manipulierten Dieselmotoren und alten Kohlekraftwerken wird das sicher nicht gelingen. Nur, wenn wir als Gesellschaft der Meinung sind, uns reichen weniger ambitionierte Ziele, können wir Tempo rausnehmen. Dazu rate ich aber nicht. Die Risiken, die durch die Klimaerwärmung auf uns zukommen, sind einfach gigantisch. Das Problem ist, dass die meisten Menschen das noch nicht richtig auf dem Schirm haben.
Sie fordern, dass deutsche Autobauer 2025 die Produktion von Fahrzeugen mit Benzin- und Dieselmotoren einstellen, wichtige Fernstraßen für den Güterverkehr mit Oberleitungen versehen werden und ab 2020 keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr installiert werden dürfen. Wie soll das durchsetzbar sein?
Das ist ja alles nichts Neues. In Dänemark sind Öl- und Gasheizungen in Neubauten jetzt schon weitgehend verboten. Norwegen und die Niederlande wollen ab 2025 den Verbrennungsmotor abschaffen. In Schweden soll ab 2030 der komplette Güterverkehr auf Straßen mit Oberleitungen laufen. Rings herum sind all diese Ansätze ja vorhanden. Es ist nicht so, dass wir ein Vorreiter wären.
Den Verbrennungsmotor abzuschaffen, würde hierzulande aber Hunderttausende Jobs gefährden.
Einen Technologiesprung anzustoßen ist doch das genaue Gegenteil von Jobabbau. Es geht nicht darum Autos abzuschaffen, sondern moderne Antriebe einzuführen. Nehmen wir einmal das Beispiel Telekommunikation. Siemens war einmal ein führender Hersteller von Mobilfunkgeräten. Dann hat man es versäumt, auf wichtige Markttrends richtig zu reagieren, und wer baut heute die Handys? Nicht mehr Siemens! Ein ähnliches Szenario gilt es, in der Automobilindustrie zu verhindern. Die Trendsetter sind dort nicht mehr VW oder Daimler sondern Tesla. Und Konzerne wie Google und Apple arbeiten gerade an hippen Zukunftsprodukten rund ums Auto. Das sollte uns zu denken geben, denn Jobs werden immer in innovativen Branchen geschaffen. Wo Innovation fehlt, fallen Stellen weg.
Also lautet die Devise: Weg vom Diesel und mit Vollgas ins Zeitalter der Elektromobilität?
Der Weg, solange wie möglich mit dem alten Zeug Geschäfte zu machen, ist jedenfalls verkehrt. VW verbrät in den USA gerade 20 Milliarden Dollar an Strafzahlungen, weil man versucht hat, den Diesel irgendwie noch durch die gesetzlichen Vorschriften durchzumogeln. Hätte man dieses Geld in neue Antriebe investiert, wäre der Konzern weltweit ganz vorne und hätte alle 600.000 Jobs im Konzern auf Jahre gesichert. Jetzt droht mit Bosch auch noch ein zweites deutsches Industrieschwergewicht in den Abgasskandal hineingezogen zu werden. Das Festhalten an alten fossilen Technologien wie dem Diesel wird zu einer Hypothek für immer größere Teile der deutschen Wirtschaft.
Aus dieser Sicht geht die Einhaltung der Klimaziele und die Sicherung von Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit also Hand in Hand?
So ist es. Und darum ist es auch so fatal, was wir gerade machen. Wir setzten zu stark auf etablierte Technologien und haben nicht den Mut, neue Wege bis zum Ende weiterzugehen. Durch mehrere Gesetzesreformen ist das Tempo der Energiewende stark abgebremst worden. In der Fotovoltaikbranche haben wir in den letzten fünf Jahren 60.000 bis 70.000 Stellen in Deutschland abgebaut, und zwar um 20.000 Jobs in der Braunkohleindustrie zu erhalten. Das ist kein zukunftsfähiger Weg, denn, dass die Erzeugung von Sonnenstrom ein Zukunftsmarkt ist, ist unumstritten. Wenn in China die Menschen in den Städten an der dreckigen Luft erkranken, ist klar wohin die Reise gehen wird: Zu sauberen Energieformen nämlich.
Bis 2040 sollen nach Ihren Vorstellungen in Deutschland Erneuerbare-Energien-Anlagen mit einer Leistung von fast 700 Gigawatt stehen. Also rund das Siebenfache der heute installierten Leistung. Wollen Sie Deutschland mit Windrädern und Solarpanelen vollpflastern?
Das wäre mir zumindest lieber als Norddeutschland absaufen zu lassen. Denn selbst bei einer Erwärmung des Weltklimas um 1,5 Grad müssen wir langfristig mit einem Anstieg des Meeresspiegels um zwei bis drei Meter rechnen. Wenn wir nichts tun, wird es vier bis fünf Grad wärmer. Was dann passiert, wird schlicht verheerend sein. Klar, werden wir durch Solarmodule und Windräder das Landschaftsbild verändern, aber man muss sich eben entscheiden. Wenn wir unseren Lebensstil nicht radikal verändern wollen, werden wir diese Mengen an Erneuerbare Energien brauchen.
Sie gelten als kompromissloser Verfechter des Ausbaus von Ökoenergien. Warum fordern Sie dann das erneuerbare Energien-Gesetz (EEG), das zentrale Stellrad der deutschen Energiewende, abzuschaffen?
Das Gesetz strotzt mittlerweile von Absurditäten. Aufgrund seiner verworrenen Fördermechanik steigen die Kosten der viel diskutierten EEG-Umlage sogar dann, wenn wir den Ausbau erneuerbarer Kraftwerke komplett einstellen würden, und stattdessen mehr Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken gewinnen würden. Aus anfänglich zwölf Paragrafen sind heute mehr als hundert geworden. Diese sind teilweise so kompliziert, dass selbst Fachleute Probleme haben, sie zu verstehen. Da haben Lobbygruppen über 15 Jahre saubere Arbeit geleistet. Das schlimmste aber ist, dass von dem Gesetz keine entscheidenden Impulse mehr für den Klimaschutz ausgehen. Die Mengen, die wir an Wind- und Solarkraft neu bauen sind einfach zu gering. Wir müssen da wieder Fahrt aufnehmen.
Die deutsche Erneuerbare-Energien-Förderung ist aber immer noch Vorbild für viele Staaten...
Das EEG war das beste Entwicklungshilfeprogramm, das Deutschland jemals aufgelegt hat. Durch die Förderung hierzulande sind Solarzellen weltweit spottbillig und zu einer echten Alternative für fossile Energieträger geworden. Weltweit boomt die Fotovoltaik. In sonnenreichen Ländern wie Dubai oder in den USA ist Solarstrom die billigste Art, Energie zu erzeugen und das originär aufgrund des deutschen Engagements. Was Deutschland in den letzten Jahren fahrlässig vergeben hat, ist die Chance, bei dem Technologiethema vorne mit dabei zu sein. In dem Moment, wo Sonnenstromerzeugung preiswert wird, verabschieden wir uns aus dem Markt und geben die Produktion nach China ab. Wer soll denn das kapieren? Der chinesische Fotovoltaik-Markt ist mittlerweile 20 Mal so groß wie der Deutsche, und die Chinesen machen das Geschäft.
Im kommenden Jahr wird die EEG-Umlage auf über sieben Cent pro Kilowattstunde Strom steigen. Eine Familie zahlt damit im Jahr rund 300 Euro für den Ausbau erneuerbarer Energien. Da sagen viele: „Mehr geht nicht mehr“. Ist das nicht verständlich?
Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem erneuerbare Energien nicht mehr teurer als fossile Energieträger sind. Insbesondere, wenn man deren Folgekosten einrechnet. Allein die Klimafolgekosten von einer Kilowattstunde Braunkohle liegen irgendwo zwischen sieben und zehn Cent. Dieses Geld müssten wir eigentlich für jede Kilowattstunde verbrauchter Energie zurücklegen, und daraus Versicherungsschäden durch Hagel oder Starkregen oder Deichbau an den Küsten finanzieren. Solar- oder Windkraft sind nahezu frei von solchen externen Kosten und kommen uns alle langfristig daher günstiger.
23 Milliarden Euro kostet der Ausbau Erneuerbarer Energien pro Jahr. Bislang hat uns das einen Ökoenergieanteil von rund zehn Prozent am deutschen Endenergieverbrauch gebracht. Stimmt das Kosten-Nutzen-Verhältnis?
Es gibt noch keine exakten Zahlen, aber alles deutet darauf hin, dass es noch viel teurer wird, wenn wir die Energiewende nicht durchziehen. In den letzten 25 Jahren haben wir über eine Billion Euro ausgegeben, um Kohle und Gas zu importieren. Das sind Tausend Milliarden Euro, die den Wirtschaftskreisläufen in Deutschland entzogen sind, und hier nicht investiv wirken können. Wenn wir das Geld in die Energiewende gesteckt hätten, wären wir schon relativ weit. Auch Elektromobilität wird ganz sicher kommen. Allein aus Kostengesichtspunkten. Ein Benzinauto zu betanken, ist schon heute deutlich teurer, als ein Elektromobil für dieselbe Reichweite zu laden. Nur die Kosten für die Elektrofahrzeuge sind noch höher. Aber das wird sich innerhalb weniger Jahre ändern. Ein E-Auto ist technisch gesehen viel einfacher als ein Verbrenner, ganz einfach, weil es kein komplexes Getriebe, komplizierte Motorentechnik oder Abgasreinigungsanlagen braucht.
Was müsste getan werden, um die Energiewende wieder voranzubringen?
Die Energiewende wird nicht an der Verfügbarkeit der Technologien scheitern und auch nicht daran, dass wir sie nicht finanzieren können. Natürlich muss man Geld in die Hand nehmen, aber für Deutschland wird sich das langfristig auszahlen. Die Haupt-Herausforderung wird es sein, die Akzeptanz für all die Veränderungen zu schaffen. Insbesondere Windräder, die wir dann in noch größerer Zahl brauchen, werden von vielen Bürgern als Beeinträchtigung empfunden. Deswegen ist es ja auch so fatal, was die Bundesregierung derzeit macht. Sie hat die Spielregeln so verändert, dass die Konzerne in Zukunft das Geschäft machen und nicht mehr die Bürger.
Sind die Konzerne denn überhaupt im Stande genügend zu investieren?
Da sehe ich gar keine Chance. Für eine Energiewende, die ihren Namen verdient, brauchen wir Investitionen in Solar- und Windkraft von rund 30 Milliarden Euro jährlich. Wie sollen das RWE und e.on mit ihrem Schuldenberg schaffen?
Niedrige Preise für Öl und Gas senken derzeit den Druck, sich über Alternativen Gedanken zu machen. Könnte das auch für die Energiewende zum Problem werden?
Wir sehen tatsächlich eine gewisse Renaissance der fossilen Energieträger. Im vergangenen Jahr hat die Installation von Ölheizungen beispielsweise wieder zugelegt. Für mich ist das äußerst kurzsichtig. Wer sich heute so eine Heizung kauft, wettet de facto auf niedrige Ölpreise in den kommenden 20 Jahren. Mir wäre das deutlich zu gewagt.
Das Interview führte Walther Rosenberger.